Erinnerungen von Christine Hansen über Peter Hansen und über die letzte Dampferlinie

Last Updated on 19. Februar 2021

Das SIEZ trauert um Christine Hansen. Vor einigen Jahren lernte ich sie bei den Recherchen über die blaue Dampferlinie kennen. Dies Büchlein gibt es beim Vorstand des SIEZ immer noch zu kaufen. Christine war die letzte des „Hansenclans“ und Tochter des Gründers der Blauen Dampferlinie. Ende Oktober 2020 trafen wir uns zu einem Gespräch, das ich aufzeichnen durfte. Leider kommt es nun nicht dazu, daß ich Fotos machen durfte von ihren Erinnerungsstücken des Schiffskapitäns Peter Hansen, der Anfang 1800 als Matrose und dann als Kapitän die ganze Welt besegelte und eine gewisse Rolle beim Schleswig-Holsteinischen Aufstand gegen die Dänische Blockade 1848 spielte. Seine Nachkommen gründeten die Blaue Dampferlinie. Christine bestellte einen ganzen Karton Destillate für ihre Weihnachtsgeschenke bei mir, die ich verabredungstreu am 22.November 2020 bei ihr vorbei brachte, an ihrem Todestag. Sie konnte die Tür nicht mehr öffnen und ich stellte den Karton auf ihre Ruhebank vorm Haus. Auf die nicht mehr zu erwartende Bezahlung verzichte ich im Andenken an sie gerne. So geht das Leben.

Lesen Sie hier das verschriftlichte Interview mit ihr, das wir wegen vieler privater Bemerkungen nicht als Audiodatei veröffentlichen. Was ich nicht fotografieren konnte? Einen Dolch & einen Säbel, den Peter Hansen geschenkt bekam. Wenn Christines Geschichte stimmt, sollte ein Teil der Schleswig-Holsteinischen Geschichte umgeschrieben werden. Peter Hansen gründete in Westafrika einen afrikanischen Zweig der Familie Hansen und seine Söhne einen australischen Zweig. Dem amerikanischen Präsidenten rettete Peter Hansen nach seiner Urenkelin „den Arsch“ in der Schlacht in New Orleans gegen die Briten. Der Präsident schenkte ihm daraufhin weite Ländereien in Amerika.

Christine Hansen berichtet

Das da auf dem Foto im blauen Buch, das sind meine Großeltern, August Christian Hansen und Frau Friederike, geb. Möller in der Privatstraße 8 in Kiel. Sie stammte von der Brauerei zur Eiche. Alle Männer in unserer Familie haben spät geheiratet. So gehen die Generationen ineinander über. Ich von unserer Generation bin die letzte und der erste der nächsten Generation ist nur ein Jahr jünger als ich, die dann folgt.

Peter Hansen war ein „plietscher Kerl“. Heute war er superreich, morgen schon wieder mausearm. Er sagte: meine Taschen haben ein Loch. Ich kann reinstopfen, was ich will, bald schon sind sie wieder leer. Ein Lebemann aber war er nicht. Er hat viel Gutes gemacht. Mit Schiffen ist es genauso wie mit Pferden: da kannst du viel gewinnen und genauso dein Geld wieder verlieren. Mal hatte er nen Schiff, mal war er angestellter Kaptän. Er war ein Hasadeur.
Ja, er hatte viele Frauenbekanntschaften unterwegs. Aber das war ja normal. Er muß eine sehr großzügige Frau gehabt haben, die stammt aus Lübeck, aus Gotmund. Da, von den echten Goten, ist das eine von. Das war die Frau von Peter Hansen.
Als er von dem afrikanischen Häuptling eine Frau geschenkt bekam, hielt er Rücksprache und sie hat sie das akzeptiert.
Zu dem Geschenk dieser Häuplingstochter kam es so: er hatte Menschen für Amerika geladen als Sklaven. Als er das mitbekam, segelte er sofort zurück nach Freetown und der Häuptling dort war sehr glücklich und beschenkte ihn mit dieser Frau, seiner schönsten Tochter.
Seine Söhne waren auch Kapitäne. Man unterhielt Geschäftsbeziehungen nach Australien. Auf dem Weg nach Australien haben die Söhne und er einen Zwischenstopp in Sierra Leone in Freetown gemacht. Da hat man das Salz der Sapi geladen und unterwegs verkauft. Davon haben viele Hansens gelebt, auch die Frau aus Sierra Leone mit ihren schwarzweißen Kindern. Und das nicht schlecht. In Portugal hatte er das gesehen, wie das Salz eingetrocknet wurde und hat das in Westafrika angewendet und weiter gegeben.
Man war in Angeln ja bereits frei von der Leibeigenschaft, da konnte er als Freier das Grundstück gegenüber von Arnis kaufen, da in Amalienburg hat er dann gebaut, so viel Geld hatte er von seinen Reisen über.
Immer wenn er Geld brauchte, kriegte er das zusammen, da war ja dieser schreckliche Krieg zwischen der Freiheitsbewegung und den Engländern in Amerika 1815. Er war auf der Seite der Freiheitskämpfer und bekam für seine Tätigkeit unheimlich viel Land in Iowa geschenkt und auch die amerikanische Staatsangehörigkeit. Das war der Sieg der Unabhängigen gegen die Briten in New Orleans. Dorthin wanderte eine seiner Töchter aus. Die war in Deutschland mit einem sehr reichen Mann verlobt aus Rothensande, ein Blessmann. Die gingen nach Iowa und der wurde dann Stadtkämmerer von Des Moines, der Hauptstadt von Iowa. Die Hansentochter starb und die neue Frau luchste der Altfamilie und den Hansenenkeln alles ab.

Die Söhne von Peter waren unterschiedlich erfolgreich. Da war ein Hans Wilhelm und ein August Christian, alle waren sie Kapitäne. Einer starb früh als Lotse in Australien, er wurde vom Blitz erschlagen. Einer wurde in Indonesien von den Hottentotten aufgefressen. Einer gründete eine australische Niederlassung der Hansens. Mit denen hat meine Familie immer noch Kontakt.

August Christian war der erfolgreichste von Peters Kindern. Er war erfolgreicher Reeder und Kapitän. Er lernte eine Möller kennen, die hatten einen Baustoffhandel in Kiel. Die Familie kaufte ein Grundstück, da wo später die Kruppsche Werft war, in Ellerbek. Halle 400, wenn ihnen das etwas sagt. Als Preußen immer weiter aufrüstete, wurden wir enteignet und nach Wellingdorf umgesiedelt.Da waren drei Kinder und August Christian und Frau. Da kam die neue Kalkbrennerei hin und der Handel. Das ist da, wo jetzt Geomar ist, das gehörte uns.

A.C. Hansen kaufte dann jemandem die Fährlinie von Wellingdorf nach Kiel ab.. Das lief gut. Er starb 1902.
Mein Vater, der Sohn von A.C. wollte das mit den Schiffen hochhalten. Aber es war das Schlimmste, was passieren konnte. Ein ewiges Zusatzgeschäft. Da sind unsere Elmschenhagener Ziegeleien bei drauf gegangen, zwei Ziegeleien.

In den Dreißiger Jahren kaufte mein Vater die Kreisschifffahrt auf der Schlei. Bei den Hansens kamen die Kinder immer sehr spät. Ich bin von 1941. Vater fühlte sich mit der Schifffahrt sehr verbunden. Auch er hatte ein Kapitänspatent.
Die Blaue Dampferlinie war Dreh- und Angelpunkt der Schlei. Da war ja nix los. Die Linie war die Verbindung nach Kiel. Deshalb bekamen wir nach dem Krieg von den Briten schnell die Lizenz für die Linie Kiel-Schleswig zurück. Über Land ging da ja nix. Am Freitag nachmittag ist man von Kiel los und war am Sonntagabend zurück in Kiel. Da waren unzählige Bedarfshaltestellen. Ich kann mich an Kitte Köster erinnern, den Ausrufer unserer Linie. Ein netter, uriger Kerl. Er kündigte unsere Abfahrten in den Straßen von Schleswig, Arnis und Kappeln an. Auch die Badefahrten nach Schleimünde. Aber nicht nur das. Ich erinnere, wie er in Arnis auch die neuesten Nachrichten der Zeitung ausrief: bimmelimmeling…die neusten Nachrichten, meine Damen und Herren…
Da standen sie alle in Arnis und haben aufgehorcht.
Oh Gott, war das ne Zeit.
Na ja, das letzte Stück Krieg haben wir Hansens in Arnis verbracht.
Unser Betriebsgelände in Kiel war ja von vorbildlicher Ordnung.
Da haben die Bomberpiloten an eine militärische Einrichtung gedacht.
Bomben fielen zuhauf.
Eine traf den Pferdestall unseres Speditionsbetriebes.
60 Pferde kamen in den Flammen um, schrecklich.
Wir hatten eine Schute, die lag bei Alfred Eberhard auf der Werft in Arnis.
Schnell wurde die provisorisch zum Wohnen ausgebaut.
Dort haben wir erbärmlich gewohnt.
Die Arnisser hatten ja alles: Garten, ihre Kaninchen, ihr Schwein.
Wir Hansens hatten nix.
1948 sind wir mit der Schute nach Wellingdorf zurück.
Die Fahrt war schrecklich. Der Boden der Schute war aus Holz, undicht.
Wir durften nur auf einer ausklarierten Zwangsroute im Konvoi fahren wegen der Minen.
Die Engländer begleiteten uns.
Auf einmal machte es Bumm und ein Fischkutter des Konvois war auf eine Mine gelaufen.
Ging in die Luft, schrecklich!
Die waren alle tot.
So kamen wir zurück nach Wellingdorf.
2 Pferde gabs da noch und einen alten LKW mit Glühkopfmotor.
Und wissen sie was, der wurde uns doch tatsächlich auch noch gestohlen. Aber ein Kunde von uns erkannte das Fahrzeug am Gewummer. Schwang sich auf die Ladefläche, gab den Dieb bei der Polizei ab und wir bekamen die Cheese wieder.
Mein Bruder lebt ja noch. Er konnte diesen Motorenklang nachmachen. Er konnte alle unsere Schiffsmotoren nachmachen und am Klang erkennen. Er hat es schwer mit dem Leben, eine Zangengeburt, vieles konnte er nicht, aber das konnte er.
Auf See, man sah das Schiff gar nicht, BöbbBöbbBöpp, er wusste, wer da kam.
Es war ein ewiges Zusatzgeschäft, die Schleischifffahrt. Die 60iger Jahre waren hart. Wir mussten die Brücken unterhalten. Die Bischofflinie war frech. Für sie florierte das und sie kauften aus Eckernförde noch ein Schiff dazu. Die fuhren unsere Brücken eine Viertelstunde früher an, kassierten unsere Passagiere ein, aber hatten keine Brückenkosten wie wir.
63/64 waren harte Winter mit LKW‘s auf der Förde noch im März/April. Von den Hilfsgeldern der Regierung bekamen wir nix, aber die Bischoffs. Wir blieben auf 96 Tausend Mark Lohnkosten ohne Gegeneinnahmen sitzen.
So gaben wir dem Landrat Klaus Kühl aus Angeln die Brücken zurück und stellten die Linie Ende der 60iger ein.
Ich war im Betrieb Mädchen für alles, die Tochter vom Chef eben.
1969 stellten wir auch die Fördelinie Neumühlen – Seegarten ein. Wir hatten durch die Misere mit unserer Schifffahrt viele Bankschulden. Deshalb mussten wir Immobilien und Grundstücke verkaufen.
Nur dieses Haus, in dem ich jetzt wohne, ist geblieben. Zum Heiraten bin ich nie gekommen. Da war immer zuviel zu tun.
Aber wir hatten es auch schön. Bei Eberhards lag unser Norwegischer Spitzgatter, 60 Quadrat allein das Großsegel. Damit waren Vater und ich viel unterwegs, nach Thurö hoch und Langeland, überall hin auf der Ostsee. In den Dänischen Häfen ging die Buddel rum, wenn wir einliefen:
„Oh, August Hansen kommt“ hieß es dann. Wir mochten die Dänen, die Dänen mochten uns.
Einmal hörte ich beim Segel hissen ein Gebrüll. Das war mein Vater. Er war mit seinem goldenen Ring in einem Segelbeschlag hängen geblieben und stieg jetzt mit dem Groß am Mast auf.
Ich war ja man nur so eine „Spinnenmaus“. Langsam fierte ich das Segel. Aber den Ring von Vater, den mussten wir auftrennen, denn der Ringfinger wurde dick.

Die Bilder unserer Yacht habe ich noch im Keller. Tief vergraben. Hängt zu viel Abschiedsschmerz dran, zu viel Verzicht.
Da ist auch noch ein Säbel und ein Dolch von Peter Hansen. Der war nämlich, was keiner weiß, für kurze Zeit Dänischer Admiral.
Ob das mit Freibriefen und Piraterie oder mit 1848 zusammenhängt, darf ich nicht sagen.
Denn eine Schwester meines Vaters heiratete nach Dänemark. Dänemark und die Hansens haben beschlossen, Stillschweigen über die Rolle Peter Hansens im Konflikt von 1848 auszuüben.
Peter hatte ja die Dänen bei der Blockade, ich sag mal gut behandelt und davonkommen lassen.
Den Admiralssäbel und den Dolch dazu, den zeige ich ihnen beim nächsten Mal, auch Fotos von den afrikanischen, blauäugigen Hansens, die mein Vater mit einem Handelsschiff in den Fünfzigern einmal besuchte.
Ende des Interviews

Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Der Tod kam dazwischen. Zur Ehre von Peter Hansen, dem Schleiabenteurer, will ich glauben, daß dieser erfahrene Seemann im Konflikt zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark auf der Seite der Dänen stand und die „Galathea“, die die Schleimündung für Dänemark sperrte, davon kommen ließ. Vielleicht war ihm S.-H. bereits zu preußisch. Die Wahrheit über diese übermäßig wichtige historische Frage liegt tief vergraben im Keller von Christine Hansen oder bereits auf einer Kieler Mülldeponie.

                        Karl Walther im März 2021

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