Erinnerung an eine Schleireise
Die Schlei erlebte 2022 einen harten Sommer und ist jetzt vollends im „Klimawandel“ angekommen. Wir hatten im Frühsommer zuerst die „normale“ Grünalgenblüte & im Spätsommer eine heftige Blaualgenblüte mit dicken griesigen Teppichen und in stillen Ecken, wie z.B. im Rundhafen Stexwig, erste tote Fische. Blaues „taumelndes“ Wasser. Blaue Überschwemmungswiesen. Die Böden rund um die Schlei waren so trocken, dass sie kaum gelöste Nährstoffe ins Schleimassenwasser abgaben. Knapp nur reichten die Niederschläge für die Ernte. Der Weizen war 2022 manchmal nicht backfähig. Die Getreideböden waren nicht überdüngt. Der für die „Blaualgenblüte“ nötige Phosphor für die Cyanobakterien kam also aus den Altlasten der Schlei, aus Rücklösungen des Faulschlamms.
Die „Sünden“ der Vergangenheit reichen im Falle des Phosphors bei weitem für die Gewässerdüngung aus. Die ersten Gewässermessungen 2023 allerdings zeigen wieder hohe Phosphorgehalte im Auwasser, in der Hüttener Au 25,9mg Nitrat bei 1mg Phosphat. Die Böden haben an Feuchtigkeit zugenommen. Die Vorgaben der EU (Wasserrahmenrichtlinien) rücken für die Schlei in weite Ferne. Sind ab jetzt in jedem „Klimawandelspätsommer“ Badeverbote angezeigt? Die Fischer können die Reusen nicht überall länger als ein paar Stunden stehen lassen, es herrscht auf manchen Gründen Sauerstoffarmut; sommerliche Fischsterben nahen. Das SIEZ® warnt bereits lange davor. Unbedingt müssen wir die genauen Bedingungen der Phosphorrücklösung aus dem Faulschlamm erforschen. Deshalb bauen wir ein Forschungsfloß. Sanierungen im Modell, z.B. durch Glockenexperimente, werden Hinweise auf mögliche Lösungen geben.
Gleichzeitig hat der Massentourismus einen kräftigen Aufschwung an der Schlei genommen. Vielen ist es bereits zuviel. Unsere Identität „wackelt“. Ist das noch unser geliebtes Zuhause? Auf dem Immobilienmarkt herrscht „Goldgräberstimmung“.
Man hat nix davon. Man erduldet den Tourismus an der Schlei, weil man selber ja auch mal reist & dann Tourist ist. Der Tourismus wandelt grad sein Gesicht. Er ist auf dem Weg vom erfrischenden, angenehmen „Gästetourismus“ zum verstörenden, häßlichen Massentourismus. Ein böses Geschäft: Die Schleiterrassen, Olpenitzport. Wir erwerben grad eine neue Identität. Sylt naht. Kappeln verliert im sommerlichen Gedränge seinen kleinstädtischen Charme. Wird beliebig. Ähnelt hunderten anderen Küstenstädten wie ein Produkt aus einem Tourismuskatalog. Gleichzeitig bedroht der Klimawandel eben auch diesen Massentourismus, auf den sich die Schleiregion gerade einläßt. Blau ist die See, gelb blüht der Raps, blaualgenblau? Der Landarzt lächelt nicht über den griesigen Blaualgenschleim. Zeit, nachzudenken. Wo bleibt das Positive, fragt mich Erich Kästner. Sein Gedicht geht so weiter:
Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen
Und denkt unter Zucker verschwinden sie
Baut Balkone vor die Herzen
Und nehmt die strampelnde Seele aufs Knie
Also zum Positiven, Erich, zur Schönheit der zarten Schlei. Der sanften Tochter der Ostsee. Ich will von meiner Schleireise berichten. Bekam von einem Freund vor 3 Jahren einen Jollenkreuzer aus den 60iger Jahren geschenkt. Gebaut auf einer Werft irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern aus dauerhaftem Zedernholz. Das mürbe Heck war bereits abgesägt, alle Rundhölzer wurmstichig. Die Scheuerleisten mürbe. Alle Farben verwittert. Eigentlich ein Wrack. Aber die „normale“ Schwachstelle, der Schwertkasten, das Herz jeder Jolle, war wunderbar fest und gesund.
Es begann eine monatelange Renovierung. Drei Freunde trafen sich in jeder freien Minute zum Schleifen, Sägen, Hobeln, Fügen, Leimen, Malen. Segel wurden in Hamburg von einer Elb H-Jolle gekauft, danach das neue Rigg gearbeitet. Ein Nachbau des Elbjollenriggs mit kurzem Mast und elend langem gebogenen Gaffelbaum. Später stellte sich heraus: segelt sehr gut, dreht auf dem Teller, kreuzt ohne Motor durch das Lindaunismauseohr, segelt mit zwei Reffs (also nur noch mit der Spitze des Gaffelriggs) gut händelbar durch harten Wind. Ein Traum.
Wie es sich gehört, startet jede Schleireise am Schloß Gottorp. Das Schloß symbolisiert den gescheiterten Versuch des eigenständigen Herzogtums im 17. Jahrhundert zu einer europäischen Mittelmacht mit angemessener Armee zu werden. Durchaus in Konkurrenz zur Verwandtschaft. Das Schloß symbolisiert die Identität unseres Landes „up ewig ungedeelt“. Manchmal plünderten die Dänischen Verwandten die Kunstschätze in Richtung Kopenhagen. Wollten uns deelen. Manchmal wollten die preußischen Verwandten zu ihrem Vorteil neu „deelen“.
Das beeindruckende Luftbild zeigt die Schlossinsel des heutigen Landesmuseums und den steilen Anstieg des Geländes mit dem Tiergartengehege. Bis hierhin reichte die Kraft des Eckernförder Gletschers, der diese Landschaft „komplex“ gestaltete. Hätte es die kleine Zwischeneiszeit (die Mutter des Schnaaper Sanders) nicht gegeben, Schleswig und Eckernförde lägen an der gleichen „Schleswiger Eckernförder Bucht“.
Wir danken dem Photografen & Flieger Robert Keil für die meisterlichen Aufnahmen. Sieht man nicht die Erosionen der Möveninsel samt dem Fundament der Burg, von der aus Schleswig besiedelt wurde?
Sieht man nicht perfekt die vorwiegende Westwindströmung? Sieht man nicht gut, wie leicht man sich hier selbst mit nem Jollenkreuzer, mit der „Edith“ festfahren kann?
Im Blick das Millionengrab Wickingturm. Bodensanierung, Isolation oder Abriß werden Unsummen kosten und deshalb lieber bis nach dem Ende der Zeitrechnung aufgeschoben werden. In den 50igerJahren gab die Stadt Schleswig den Betreibern der Teerpappenfabrik die Genehmigung, den aufgegebenen Betrieb mit einer dünnen Kiesschicht verbuddeln zu dürfen. Man wusste es nicht besser. Aber ist mangelnde Klugheit bereits Unschuld? Dort am Rahmen von Roberts Flieger ging es hinein ins aufgeschüttete „Teglmoor“ wo die Reste einer versunkenen Schiffsflotte aus dem 17. Jahrhundert liegen.
Das Bild zeigt den kleinen Domhügel. Ich erinnere mich an ein Interview mit Fritz Laß: Der Dom steht sicher auf 9 Meter Höhe. Ist das so? Schaun wir mal.
Die gesamte kleine Breite im Blick voraus. Der neu entstehende Stadtteil „Freiheit“. Dahinter ist der Weg des Plastiks vom Brautseegraben nach Reesholm und in die grenzenlose Freiheit des Mülls (Mikroplastik) gut zu sehen. Ich erinnere mich an ein Schriftstück von Robert Habeck, damals Umweltminister des Landes, mit einer Anweisung an Herrn Schoofs, die Plastikverpackung doch bitte recht klein zu schreddern, kleiner als bislang, wegen der dann perfekten Sterilisationen. Er ist schon ein gebildeter Schlaukopf und ein Philosoph dazu und damit ein Vater des Mikroplastiks in der Schlei. Oh, wie schön das doch alles ist!
Stexwig ist eines der Nadelöre unserer Schlei. Die große Breite voraus! Da geht es entlang an der versunkenen Insel „Kocksbarg“ vorbei. Die Edith fliegt nur so im achterlichen Wind.
Davor auf der anderen Seite der B76 Damm. Bevor er geschüttet wurde, war der Weg von Eckernförde nach Schleswig lang. Er führte weit über die Selker Berge. Daher rührte die Wichtigkeit Missundes. Teile des Missunder Weges waren bereits gepflastert als andere Landesstraßen noch Matschpisten waren.
Ein weiteres meisterliches Bild von Robert Keil. Der Naturhafen, an dem eine ehemalige Weltstadt lag: der Schrecken der damaligen Welt. Durch den Bau des Dammes und Wasserspeisung nur durch die kleine Selker Au hat das Selker/Haddebyer Noor eine exorbitant schlechte Wasserqualität über Grund (sauerstoffrei) fast ohne Austausch mit der Schlei. Wissenschaftler unseres Vereines erforschen grad wie schlecht. Vielleicht kann die Museumsstiftung im traditionellen Selker Moddergrund ein „Freilichtmuseum“ für Schiffswracks unter Wasser errichten. Noch wissen wir wenig über die Erosion von Schiffswracks (Holz) im anaeroben Moddergrund der „Upper New York Bay“ des frühen Mittelalters. Aber ich erinnere mich an ein Interview, welches ich im Rahmen einer Ausbildung zum Landschaftsführer mit Dr. Kramer, dem Unterwasserarchäologen des Museums, führte und wie er bedauerte, so manches Wrack gefunden zu haben, dass nun nur eine Lagerlast darstelle…
Reesholm ist immer der erste „Meilenstein“ einer Schleireise. Die „Stexwiger Enge“ liegt am östlichen Rand der „Kleinen Breite“. Hier verteidigten die Wikingerräuber ihre Weltstadt Haithabu vor anderen Räubern. Sehr schön zeigt das dunstige Luftfoto die Möveninsel, die „Freiheit“, den Dom, den Wikingturm, links das Haddebyer Noor mit dem aufgeschütteten Damm der B76, das Ziegeleigelände Fahrdorf und eben Reesholm. Die moderne Archäologie nimmt sich gern die Ortsbezeichungen zu Hilfe, hinter der sich uralte menschliche Geschichte „versteckt.“ Stexwig ist die Wig an den gesteckten Pfählen. Eine Seeverteidigung der Wikinger zum Schutze Haithabus. Das Nationalmuseum Irland zeigt zwei Skelette mit den „dazugehörigen“ tragbaren Schwertern. Ein Wikingerschwert und ein irisches. Die kleineren Kelten hatten fast zwei Jahrhunderte keine Chance gegen die Wikinger und wurden alle sieben Jahre von diesen beraubt wie „gemolken“.
By the way: angeblich war die Schleiregion vom 4ten bis 6 Jahrhundert wegen einer Kaltzeit unbewohnt. Auf Reesholm haben aber Dänische Archäologen ein Langhaus aus eben dieser Zeit gefunden. Die „Harten“ waren also geblieben. Bleiben wir doch auch in Schleswig-Holstein in der Kaltzeit 2022/23, wo Wintertemperaturen von 19 Grad in unseren Häusern drohen & nach staatlichen Beihilfen schreien lassen. Lassen wir uns nicht erneut zur Auswanderung nach England verleiten!
Die Edith flitzt über die Große Breite. Karl Müller schreibt in seinem Buch: Die Schlei, eine Tochter der Ostsee: „Im Sommer ist es, als ob die Schlei aus ihrem Dämmerschlaf erwache, als ob dann das Leben der früheren Jahrhunderte zurück kehre. Dann belebt sich die blaue Wasserfläche mit schnittigen Booten…“
Ja, es geht an der Borgwedeler Ziegelei, an der Marina Schrader, am Schloß Louisenlund vorbei. Es geht durchs Gletchertor zwischen Burg und Kielfoot in die mittlere Schlei.
Nur dem Ortskundigen erschließt sich die Vielfalt von Nooren, Buchten und „Fahrwasser“ der mittleren Schlei sofort. In der Mitte des Bildes die Halbinsel „Finsterstern“. Hier stand eine Kapelle, die am Jakobsweg lag und in der Reformation geschleift wurde. Eine Handvoll Freunde sammelten Geld für ihren Wiederaufbau über Nacht. Selbst die Peking Rundschau würde über das Wunder berichten. Als ein Freund starb, ein anderer krank wurde und ein weiterer an den Rhein zog wurde der anspruchsvolle Plan „über Nacht“ gecancelt. Die Kapelle steht jetzt auf 30 Pfählen versteckt in einem Karpfenteich im Schleidorf Bohnert. Melden Sie sich doch zur Besichtigung an.
Das nächste Foto zeigt die untergehende Insel Kieholm aber auch die beiden neuen Inseln Hakenhöft und Finsterstern, die in wenigen Jahrzehnten Insel geworden sein werden. In der Ferne bereits Lindaunis.
Hat man die Liebesinsel passiert, wird das Fahrwasser eindeutig: in der Ferne lockt Lindaunis.
Die Edith hat keinen Motor und läßt sich gerne durchs Brückennadelöhr schleppen. Vorbei gehts an Karnöhr in Richtung Bienebek und Pagerö auf der Angeliter Schleiseite. Mich lockt der alte Kornhafen Bienebek zu einer Kaffeepause.
Aber ich übernachte im Gunnebyer Noor. Am nächsten Morgen geht es hinaus nach Arnis und Kappeln und nach einer Übernachtung in der Maas am nächsten Morgen schließlich durch die Schleimündung.
Ein Wort zur Schleimündung. Es ist dies einer der schönsten Orte Deutschlands. Abbruch & Verlust eines Steilufers schaffen eine Nehrung, die sich ständig verändert. Wie ein Model der Welt kommt hier zusammen: Industrieller Tourismus, gespeist aus der Asphalttristess der Großstädte. Bedenkenloses, profitsüchtiges Bauen zulasten aller Natur und gleichzeitig die Sucht der Menschen das alles unter der eignen Egide untergehen sehen zu dürfen: den Vogelschutz Jordsands und die Lotseninsel im Blick & das smarthome regierte Appartment im Rücken. Deutlicher als an der Schleimündung kann man die Welt Schleswig-Holsteins in ihren Gegensätzen nicht darstellen.
Hier kreuzt die Edith unendlich viele Schläge nach Nord, denn das Ziel liegt im Norden: die Geltinger Bucht und Langballigau.
Für das SIEZ®, im Februar 2023, Karl Walther
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