Gastbeitrag von Hildegard Wilske zur Geomorphologie der Schlei-Region

Last Updated on 27. November 2015

naturpark schei

 

„Es ist eine merkwürdige Erscheinung, dass eins der lebensvollsten und
lieblichsten Landschaftsbilder an der Ostsee gerade dem Zeitalter der
großen Verwüstung und des weißen Todes, nämlich der Eiszeit, seine
Entstehung verdankt…“ (W. Wolff 1929)

 

 

Der Boden zu unseren Füßen

Die Landschaft Schleswig-Holsteins entstand, gemeinsam mit weiteren großen Teilen der
norddeutschen Tiefebene, Dänemarks und der Niederlande auf recht ungewöhnliche Art.
Gigantische Erdbewegungen erfolgten über lange Zeiträume und große Distanzen und schufen
auf diese Weise Land, wo zuvor ein flaches Schelfmeer (vergleichbar der heutigen Nordsee)
sich erstreckt hatte.
Der Akteur dieser Erdbewegungen war das Wasser, allerdings vornehmlich in gefrorenem
Zustand, als Eis.Umfangreiche Vereisungen auf der Nordhalbkugel der Erde schufen die
Bedingungen für uns heute schwer vorstellbare, weiträumige Gletscherbewegungen bis in
unsere Region. Das von Skandinavien kommende Landeis führte in mehreren langen
Kälteperioden gewaltige Mengen an Gestein und Erde mit sich und setzte dieses Material beim
Abschmelzen ab.
Im Unterschied zu den fortwährend stattfindenden Ablagerungen, die durch Bäche und Flüsse
in Seen und im Meer erfolgen, enthalten die Gletscherablagerungen (Moränen), nicht nur
leichtes, feines Material (Sediment), sondern auch Steine und Felsbrocken jeglicher Größe, bis
hin zu einige hundert Tonnen schweren „Großgeschieben“. Aus dieser unsortierten und sehr
bunt gemischten Fracht aus der Gesteinswelt und den Böden des skandinavischen Raums ist
Schleswig-Holstein aufgebaut. Ein denkwürdiger Vorgang, der außerhalb des Ostseeraumes so
von kaum einem anderen Gebiet der Erde bekannt ist. Die weiträumige Herkunft des Bodens,
auf dem wir leben, wird anschaulich belegt durch die bunte Vielfalt unserer Strandsteine.

 

Eine harte Nuss für die Wissenschaft…

Die Möglichkeit so umfangreicher Materialtransporte durch großräumige Vereisungen schien
der Wissenschaft zunächst undenkbar. Die allmähliche Erkenntnis und Akzeptanz einer
solchen Theorie konnte sich im Verlauf des 19. Jh. erst gegen Widerstände durchsetzen.
Interessant, was damals den Anstoß zum Umdenken gab: Ein schwedischer Geologe fand
offen liegende Kalksteinfelsen in Brandenburg (Rüdersdorfer Muschelkalk) von
Gletscherschrammen gezeichnet, wie sie in Skandinavien nahezu überall auf dem Fels zu
finden sind. Das war im Jahr 1875. Das Wissen darüber, wie unsere Landschaft entstand, ist
also nicht alt. Inzwischen haben sich im Rahmen der Glazialgeologie Disziplinen ausgebildet
und Methoden entwickelt, die die Kenntnis von der Entstehung unserer Landschaft
konkretisiert und verfeinert haben. Gleichwohl bleiben im Gelände am Detail vielfach offene
Fragen, die schwer zu beantworten sind, weil die großen Zeiträume der Kaltzeiten mit
mehrfachen Eisvorstößen sehr komplexe und teilweise verworrene Verhältnisse geschaffen
haben. Mit diesem Vorbehalt kann man versuchen, in der Landschaft auf Spurensuche zu
gehen.

 

Zuvor einige Fakten und Zahlen:

Die Antarktis liegt seit ca. 30 Mio. Jahren unter einer Eiskappe. Dies wird als Beginn eines
globalen Eiszeitalters auf der Erde angesehen. Zugleich ist dieser Tatbestand als Klima-
Regulativ für die Erdentwicklung einzustufen, denn zuvor existierte die Erde überwiegend
unter einer schwülen bis heißen Wärmeglocke. Die Vereisung des zweiten Pols, der Arktis,
begann vor ca. 2,6 Mio. Jahren. Von diesem Zeitpunkt an wird das Zeitalter des Pleistozän, das
sog. Eiszeit-Zeitalter, gerechnet. Es ist gekennzeichnet durch einen Wechsel von Kalt- und
Warmzeiten. Im norddeutschen Raum sind 3 große Kaltzeiten belegt:
Elsterglazial – 400.000 – 320.000 Jahre
Saaleglazial – 300.000 – 130.000 Jahre
Weichselglazial – 115.000 – 11.700 Jahre.

karte_saale_eiszeit

Während des Elster- und Saaleglazials erreichte die Eisbedeckung eine sehr große räumliche
Ausdehnung, bis nach England, in die Niederlande, Sachsen und Weißrussland. Die
Ablagerungen dieser Kaltzeiten sind natürlicherweise einer größeren Einebnung und
Verwitterung ausgesetzt als die der letzten Kaltzeit. Die letzte (Weichsel-Kaltzeit) ist für den
Ostseeraum von größter Bedeutung, weil ihre umfangreichen Ablagerungen hier maßgeblich
die Landschaft aufbauen. Immerhin erreichen sie durch mehrfache Überlagerung gebietsweise
eine Mächtigkeit um 300 m und mehr.
Schleswig-Holstein ist in besonderer Weise geprägt durch dieses letzte Glazial, weil der
Eisrand in einer nordsüdlichen Linie mitten auf der jütischen Halbinsel stagnierte und dadurch
die Grundlage für Schleswig-Holsteins charakteristisch gegliederte Landschaftsgestalt schuf:
die uns vertraute Dreigliederung in das östliche Jungmoränenland, die Sandergeest und das
Schwemmland im Westen, die heutigen Marschen.
Die Schlei-Region liegt innerhalb des weichselzeitlichen Gebietes, reicht im Westen aber über
eine Schmelzwasserrinne bis an die Zone des Eisrandes, die Sanderwurzel, heran.
Noch ein paar Zahlen zum Staunen:
Im Zentrum des Vereisungsgebietes, ungefähr im Bereich der heutigen nördlichen Bottensee,
betrug die Mächtigkeit des Eises während des Hochglazials etwa 3000 m, in Schleswig-
Holstein und Mecklenburg immerhin noch bis 300 m. Durch das ungeheure Gewicht dieses
Eispanzers wurde die Erdkruste unter ihm tief in den Erdmantel gedrückt, auch die Region der
heutigen Ostsee lag um einige hundert Meter tiefer als heute. Nach dem Abschmelzen des
Eises setzte eine isostatische Landhebung ein, die bis heute andauert – in Nordschweden
betrug sie bislang fast 800 m. Dort ist das Aufsteigen vor allem im Bereich der Küstenregion
durch den Verlust der Hafenplätze innerhalb weniger Generationen erlebbar.
Der Meereswasserspiegel lag während der Hauptphase der Vereisung um etwa 120 m tiefer als
heute, die gesamte Nordsee lag trocken und es gab eine Landverbindung nach England.

 

Spuren des Eises

Wir begegnen den Hinterlassenschaften des Eises in zweierlei Weise:
in den glazialen Geländeformen und in dem abgelagerten Bodenmaterial.
Für das nicht einfache Interpretieren der glazialen Geländestrukturen ist der sog.
„Aktualismus“ eine Hilfe: er überträgt Beobachtungen in gegenwärtigen Vereisungsgebieten
(z. B. auf Grönland und Spitzbergen) in die Erklärung der vergangenen Kaltzeiten hier im
Lande. Die aktualisierende Forschung hat wesentlich geholfen, glaziale Geländestrukturen zu
verstehen und zu benennen. Deshalb füge ich zur Veranschaulichung in den Text einige Bilder
aus der Arktis ein. Hinweis: Das Internet ist eine Bilder-Fundgrube für den, der sich nicht selbst eine Reise in
die Arktis leisten kann…

 

Die wichtigsten glazialen Geländeformen:

I Grundmoräne

Grundmoräne ist so etwas wie das Fundament der eiszeitlichen Landschaft. Sie ist der Boden,
der nach dem Niedertauen des Eises zum Vorschein kommt und besteht entsprechend aus
einem Gemenge an zerriebener Gesteinssubstanz und mitgeführten Steinen. Ihre mineralische
Zusammensetzung kann unterschiedlich
sein. Wenn der Grundmoränenboden
(sog. Till) kalkreich ist, spricht man
traditionell von Mergel. Kalkarmer oder
kalkfreier Till (auch durch Verwitterung
entkalkter Mergel) wird als Lehm
bezeichnet. Kalkreiche Mergelbödensteilküste
weisen hohe Bodenwertzahlen auf.
Mergel diente vom Anfang des 19. Jh.
bis zur Anwendung des Kunstdüngers
als Bodenverbesserer auf den kalkarmen
Sandböden der Geest (siehe unten).
Angeschnittene lehmige Grundmoräne
am Ostseestrand

Da Grundmoräne in erster Linie Druck von oben auszuhalten hatte, sind ihre Oberflächenformen meist weiträumig und sanft wellig.

 

 II Endmoränen

Ein vertrautes glaziales Landschaftselement sind für uns die hügeligen Endmoränenzüge,
besonders die markanten Stauchendmoränen. Sie ragen aus der üblicherweise flachwelligen
schleswig-holsteinischen Landschaft
auf und werden gerne für
Wanderungen aufgesucht. Beispiel:
Hüttener, Fröruper und Duvenstedter
Berge. Wir finden sie stets am
westlichen (oder südwestlichen) Ende
der Förden oder Zungenbecken (Seen).
Abb. Gletscherabfluss auf Grönland
mit gut erkennbarer Endmoräne.

blockdiagramm
Blockdiagramm aus: Kupetz, A., Kupetz, M. & Rascher, J. (2004) (siehe Literaturhinweis)

Stauchendmoränen

entstanden in mehreren Schüben. Zunächst wurden an der Stirn eines
größeren Eiskörpers (beispielsweise eines Fördegletschers) vergleichsweise flache
Endmoränen vom nieder tauenden Eis abgesetzt (sog. Satzendmoräne, siehe Bild oben). Sie
enthalten sowohl den fortlaufend im Eis herantransportierten Schutt als auch einiges vom Eis
aufgeschobenes Bodenmaterial.
Wenn mit den häufigen
Klimaschwankungen der Eisrand
oszillierte, d. h. in Kälteperioden
sich nach zeitweiligem Rückzug
erneut vorschob, wurde das
abgelagerte Bodenmaterial aus
vorangegangenen Kältephasen
wieder aufgenommen und
umgelagert. Vorhandene
Moränenhügel wurden gestaucht
und überkippt (sog.
Stauchendmoränen), oftmals
immer höher aufgetürmt, oder
aber ganz nivelliert und neue Moränenhügel an anderer Stelle geschaffen.
Man bedenke, dass alle Ablagerungen, auch wenn sie reich an Steinen sind, aus
Lockersediment bestehen. Vor allem im Bereich des Eisrandes waren alle Gestaltungen,
zusätzlich durch die Wirkung des strömenden Schmelzwassers, fortwährenden Veränderungen
unterworfen. Endmoränen sind meist reich an größeren Steinen (Blocklager), weil das
Schmelzwasser alles feinere Material fortspülte. In den Stauchendmoränen treffen wir zudem
meist ein komplexes Gemenge an sandigen, tonigen, kiesigen und lehmigen Partien, weil das
Eis auf seinem Weg Schollen vorhandenen Bodenmaterials aufnahm (durch Festfrieren) und
mitnahm.

 

Junge Stauchendmoräne am Thompson Glacier, Kanada (= Gelände im Bildvordergrund vor dem Eis)
Junge Stauchendmoräne am Thompson Glacier, Kanada (= Gelände im Bildvordergrund vor dem Eis)

„Die komplexe Topographie wird durch Überschiebungen der gefrorenen Schottermassen
verursacht. Trotz der Dynamik des Geländes bleibt sie doch lange genug stabil, dass die
Schmelzwasserbäche Täler in die Stauchendmoräne hinein erodieren können. Kleine Seen
entstehen, weil das Wasser durch den Permafrost nicht abfließen kann.“
(Axel Heiberg: www.swisseduc.ch)

Hüttener Berge, Stauchendmoränen, im Vordergrund: der Bistensee (eigenes Bild)
Hüttener Berge, Stauchendmoränen,
im Vordergrund: der Bistensee (eigenes Bild)

Im Bereich der Schlei treffen wir auf gestaffelte Endmoränenzüge, sie resultieren jeweils aus
verschiedenen Vereisungsstadien (Einzelheiten siehe weiter unten). Am westlichsten Ende der
Schlei-Tiefenzone baut sich eine sehr schöne Stauchendmoränenstaffel auf, die man von der
Autobahntrasse im Winter – durch die Büsche hindurch – gut in aufsteigenden Wellen
wahrnehmen kann.

III Randmoränen

Wie der Name nahelegt, entstehen Randmoränen (Seitenmoränen) durch Ablagerungen an den
Flanken von Gletschern. Die Fördentäler sind generell von Randmoränen begleitet. Da durch
den oszillierenden Eisrand jedoch auch hier wieder Umarbeitung stattfand, Endmoränen quer
zur Rinnenstruktur entstanden und zusätzlich spät- und postglaziale Prozesse (Verschüttung
sowie Erosion) einwirkten, sind die ursprünglichen Randmoränenlagen meist nur in Teilen
erhalten.

IV Toteisblöcke (heutige Tümpel, Seen und Moore)

Neben den Hügelketten sind die Seen ein Markenzeichen unserer glazialen Landschaft. Einige

Vereinfacht zeigen diese beiden Skizzen die Entstehung eines vermoorten Ackersolls aus einem Toteisblock (links im Spätglazial, rechts in der Gegenwart). (bearbeitete Skizzen leider unbekannter Herkunft)
Vereinfacht zeigen diese beiden Skizzen die Entstehung eines vermoorten Ackersolls aus
einem Toteisblock (links im Spätglazial, rechts in der Gegenwart).
(bearbeitete Skizzen leider unbekannter Herkunft)

von ihnen gehen auf größere oder kleinere Toteisblöcke zurück.
Was ist unter Toteis zu verstehen? Die Masse des Landeises in der Landschaft war, bedingt
durch das Relief des Untergrundes, unterschiedlich dick. Durch rasches Abtauen konnte sie in
viele große und kleinere Toteisblöcke oder –felder zerfallen. Dieses „Toteis“ ist bewegungslos
gewordenes Resteis, das häufig von Schmelzwasser mit Gletscherschutt überlagert und unter
dieser Decke lange Zeit konserviert wurde. Schmolz es irgendwann langsam ab, blieb je nach
Wasserdichte des Untergrunds eine trockene Senke oder ein See zurück. Kleinere Toteislöcher
(sog. Soll) vermoorten im Allgemeinen. Manche der Seen in Schleswig-Holstein gehen
erwiesenermaßen auf Toteis zurück. Im Bereich des Naturparks Schlei sind es die Schlei selbst
zwischen Schleswig und Missunde, der Große Schnaaper See und der Bültsee. Der
Naturerlebnisraum in Ekenis („Moostoft“) beruht auf einer durch Toteis generierten
Feuchtzone.

V Oser (Wallberge)aus.

Sie waren früher in den Äckern der Grundmoränenlandschaft häufig anzutreffen, wurden
aber inzwischen im Interesse der Feldbestellung vielfach zugeschüttet und eingeebnet.

Oser entstehen als langgezogene Kies- und Geröllablagerungen in subglazialen
Schmelzwasserkanälen, vor allem in Stillstandsphasen des Eises bei nachlassender
Fließgeschwindigkeit. Nach dem Abtauen erscheinen bahndammähnliche, oft leicht
mäandrierende Geröllaufschüttungen mit einer Breite von 30-150 m und Höhe von 20-30 m.
Sie können sich kilometerweit durch die Landschaft ziehen. In Ostdeutschland, Dänemark und
Schweden werden eindrucksvolle Ausmaße erreicht (30 km und mehr). In Schleswig-Holstein
sind sie auf Grund des relativ schmalen Grundmoränenstreifens zwischen Eisrandlinie und
Ostsee kaum vertreten. Zudem wurden sie gerne – wo vorhanden – als willkommenes
Kieslager ausgebeutet und abgeräumt.
Häufig sind Unterbrechungen im Verlauf eines Os zu beobachten, sodass eine
Aneinanderreihung von Wallbergen existiert. Das im Naturpark Schlei erhaltene und als
Naturschutzgebiet ausgewiesene Os von Süderbrarup im Tal der Oxbek ist ein kleiner und
überschaubarer, aber besuchenswerter Vertreter.

Os (Helnæs) auf Fünen im Abendlicht, als Riegel in der Bildmitte (eigenes Bild)
Os (Helnæs) auf Fünen im Abendlicht,
als Riegel in der Bildmitte
(eigenes Bild)

 VI Eisstauseen

Die ausgedehnten Massen des Landeises produzierten große Mengen an Schmelzwasser. Wo es
nicht in die Urstromtäler Richtung Elbe und Nordsee abfließen konnte, staute es sich in
zahllosen kleinen und großen Stauseen. Der größte unter ihnen war im Spätglazial der
Baltische Eisstausee, eine Vorform der heutigen Ostsee.
Die in diese Eisstauseen führenden Schmelzwasserströme schütteten in der Nähe des
Einmündungsbereiches noch gröbere Sande aus. Mit zunehmender Entfernung vom Rand des
Sees wurden immer feinere sandige Komponenten abgesetzt. Schließlich blieb nur noch der
feinste Anteil, die Gletschertrübe in der Schwebe. Bei ruhigen Wasserverhältnissen kam es
schließlich in den zentralen Stillwasserbereichen der Seen
zur Ablagerung von Tonen.
Durch die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen wurden
wechselnde Mengen an Schmelzwasser den Stauseen
zugeführt. Ein starker Zustrom in den Sommermonaten
führte zur Ablagerung heller, gröberer (sanddurchmischter)
Schichten, der sehr geringe Zustrom im Winter zu dunklen,
feinen, tonigen Schichten. Aus diesem Wechsel entstanden
charakteristische Warventone. Die sehr feinen sog.
Beckentone sind begehrtes (weil steinfreies)
Ausgangsmaterial für die Ziegelbrennerei.

Bild aus Wikipedia (Stichwort „Bänderton“):
Bild aus Wikipedia (Stichwort „Bänderton“):
Skizze aus den Schautafeln (8) des Naturerlebnisraums Ziegelei Borgwedel
Skizze aus den
Schautafeln (8)
des Naturerlebnisraums
Ziegelei Borgwedel

Ziegeleistandorte können somit ein Hinweis auf frühere lokale Eisstauseen sein (es können
aber auch Tonvorkommen aus vom Eis verschleppten Tonschollen genutzt worden sein).
Die Ziegeleistandorte bei Kappeln, Lindaunis und im Bereich der inneren Schlei fußen auf
Beckentonen.

VII Glaziale Rinne (Tunneltal)

Glaziale Rinnen entstehen vor allem, wenn das Eis gegen ansteigendes Gelände vorstößt. Dann
kann das anfallende Schmelzwasser nicht ungehindert abfließen. Es sucht über Röhrensysteme
und Spalten einen Weg an die Gletscherbasis (Wasser ist schwerer als Eis). Dem Druck
folgend fließt es in Richtung Eisrand und vereinigt sich recht schnell zu größeren
Schmelzwasserströmen unter dem Eis, zumal in bereits vorhandenen Talstrukturen. Da von der
Gletscheroberfläche weiterhin Wasser nachströmt, steht das unter dem Eis fließende Wasser
meist unter hohem Druck und kann deshalb auch bergauf fließen (System kommunizierender
Röhren). Wegen des Druckfließens kann das Wasser beachtliche Geschwindigkeiten erreichen
und eine stark erodierende (abtragende) Wirkung auf den Untergrund ausüben. Wenn der
Untergrund wie hierzulande aus Lockersediment besteht, kann innerhalb kurzer Zeit eine
bedeutende Menge an Material abgetragen werden. Weil solcherart ein Tal unter dem Eis
ausgespült wird, spricht man auch von einem „Tunneltal“.
Tunneltäler sind langgestreckte, u. U. bis 50 km lange Hohlformen. Die dem Eisrand
zuführenden Täler und Förden der jütischen Halbinsel sind ursprünglich Tunneltäler,
zumindest abschnittsweise. Ob das für die Schlei im mittleren Teil zwischen Kappeln und
Missunde zutrifft, wird kontrovers diskutiert.
Weitere glazial entstandene Landschaftselemente wie z. B. Drumlins, Kamees, Urstromtäler
spielen im Bereich des Naturparks Schlei keine oder nur eine untergeordnete Rolle und werden
hier nicht behandelt.

 

Nun die eigentliche Frage:
Was ist die Schlei? Wie ist sie
entstanden?

Aus der topographischen Karte der Region ist
auf den ersten Blick zu ersehen, dass im
Unterschied zur Eckernförder Bucht die Schlei
in ihrem gesamten Verlauf eine ausgesprochen
unregelmäßige, buchtenreiche Kontur aufweist,
mit einer Wechselfolge von Breiten und Engen.
Sie wirkt wie eine Aneinanderreihung von
mehreren Seen, ein Eindruck, der sich bei einer
Dampferfahrt von Schleswig bis Kappeln
bestätigt. Aus der Tiefenkarte der Schlei kann
man eine durchschnittliche Wassertiefe von
2,5 m ablesen, mit einer generell höheren
Wassertiefe in den Engstellen, weil dort die Strömung die Sedimentation mindert. Zum
Vergleich: die Wassertiefe der Eckernförder Bucht liegt zwischen 10 und 27 m, die der
Flensburger Förde zwischen 11 und 23 m, die der Kieler Förde zwischen 6 und 22 m.
Die Schlei ist somit weitgehend ein Flachwassergebiet, ihr Verlauf stellt kein durchgängiges
tiefes Tal dar, das wie die Flensburger und Kieler Förde oder die Eckernförder Bucht von
einem massigen Gletscher ausgeschürft wurde. Sie sollte deshalb nicht – obwohl sie
brackwasserführend ist – als Förde und schon gar nicht als Fjord – bezeichnet werden, wie es
vornehmlich durch die Touristikbranche auf Grund von Vermarktungsgesichtspunkten
geschieht – und vielleicht auch, um dem (nicht einfachen) „Kind einen Namen“ zu geben.
Die Schlei ist ein poligenetisches Landschaftselement, d. h. sie ist zusammengesetzt
aus genetisch verschiedenen Teilen. Drei Gebiete können unterschieden werden:

A. Der westliche Teil zwischen Missunde und dem Ende des Talbereichs

entstand  (erstaunlicherweise) im Kontext der Eckernförder Bucht. Die umfangreiche Eckernförder
Gletscherzunge schürfte in einer frühen Zeit des Weichsel-Glazials ein breites Tal aus, das die
heutige Eckernförder Bucht umfasste, in einem leichten Mäander über Eckernförde, Fleckeby
und Schleswig reichte und zwischen Schuby und Hüsby endete. Der Eckernförder Gletscher war besonders massig, die von ihm geschaffene Stauchendmoränenstaffel
südwestlich Schleswigs ragt
auffallend in die (hellgrüne)
versanderte Region westlich der
Eisrandlinie vor (siehe Geo-Karte
unten). Vermutlich war bereits
diese frühe Talanlage ein

Kartenskizze in Muuss 1966, S.27
Kartenskizze in Muuss 1966, S.27

subglaziales Tunneltal, das ist auf
Grund der nachfolgenden
Vorgänge jedoch nicht mehr
festzustellen. Denn es folgten
spätere Vorstöße, mit jeweils
etwas anderem Verlauf, die das
Gebiet neu überlagerten. Diese
Vorgänge sind beschrieben im
Topographischen Atlas SH
(Muuss 1966 S. 27).
Demnach sorgte der damals noch aufsteigende Salzstock von Osterby durch eine
Geländeerhöhung dafür, dass der Eckernförder Gletscher bei weiteren Vorstößen nach Süden
abgedrängt wurde und sich durch End- und Randmoränen einschließlich umfangreicher
Sandablagerungen selbst eine Barre in seinen früheren Verlauf schüttete. Gut zu sehen in der
K. Gripp folgenden Kartenskizze im Topographischen Atlas (siehe oben). Durch diese Barre,
der sog. Schnaaper Sander (im Bereich Osterby, Gammelby, Kosel) bildete sich für geraume
Zeit ein großer Eisstausee (Große und Kleine Breite einschließlich Haddebyer Noor). Dieser
Eisstausee führte zu den reichen Tonvorkommen, die späterhin im Schleswiger Raum viele
Ziegeleien entstehen ließen. Das gesammelte Schmelzwasser dieses Sees fand später seinen
Abfluss nach Nordosten durch das vergleichsweise enge Erosionstal von Missunde und weiter
eine vorgegebene Tiefenstruktur im Verlauf der heutigen Schlei.

Auszug aus der Geologischen Übersichtskarte 1:250.000 von Schleswig-Holstein, Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Flintbek 2012
Auszug aus der Geologischen Übersichtskarte 1:250.000 von Schleswig-Holstein, Landesamt für Landwirtschaft,
Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Flintbek 2012

B. Der mittlere Teil der Schleisenke

ist – da überflutet – in seiner Genese schwer eindeutig zu
erklären. Es überwiegt die Ansicht, dass es sich um mehrere schwach ausgeprägte
Eisschürfbecken handelt, die jener Teil des weichselzeitlichen Gletschers formte, der sich
nördlich der Schwansener Höhen (d. h. im Bereich der heutigen Schlei) in westlicher Richtung
bewegte, allerdings mit sehr deutlich schwächerer Wirkung als der Gletscherteil im Bereich der
heutigen Eckernförder Bucht. Die durch ihn geschaffenen Becken (z.B. östlich Ulsnis oder bei
Lindaunis) sind dann vor allem im Spätglazial durch Entwässerungsrinnen des aus dem
Schleswiger Stausee in Richtung Ostsee ablaufenden Wassers miteinander verbunden worden.
Hinweise auf zuvor hier vorhandene Tunneltalbildungen gibt es nicht. (pers. Auskunft von Dr.
H.-J. Stephan, eh. Geologischer Dienst des Landes SH).
Die Kette mehrerer Eisschürfbecken im Verlauf der Schlei kennzeichnet wie die dazu
gehörenden Endmoränenstaffeln die Positionen aufeinanderfolgender Eisvorstöße. Sie sind
unterschiedlich kräftig ausgebildet. Am markantesten ist die Eisrandlage bei Lindaunis (rote
Linie in der Geokarte). Ein Moränen-Querriegel ist beispielsweise auch die Halbinsel
Reesholm (NSG).
Bevor mit dem abschmelzenden Eis in Skandinavien der Meeresspiegel drastisch stieg und
zuletzt die westliche Ostsee und ihre Fördentäler flutete, war die Schlei ein Feuchtwiesental,
mit einer Kette von Seen und einem diese verbindenden Flusslauf.

C. Ein völlig unabhängiges Element

ist das Gletscherbecken westlich von Schleimünde, das
sich zur Ostsee hin weitet, die Äußere Schlei. Es ist ein trichterförmiges Gebilde, das nur durch
zwei nehrungsartige Landzungen von der Kieler Bucht getrennt ist. Mit der eigentlichen
Schlei-Tiefenzone ist es durch eine Entwässerungsrinne (bei Kappeln) verbunden. Sie stammt
ebenfalls aus der Abschmelzphase des Eises, als die von Westen zur Ostsee hin abfließenden
Wässer hier zwischen zwei schwachen Randlagen nach Osten hin durchbrachen. Dieses
Trichterbecken enthält die tiefste Stelle der Schlei (über 14 Meter), es ist eigentlich eine
Ostseebucht, in der das heutige Maasholm (auf einem flachen Moränenbuckel liegend)
zeitweilig eine Insel darstellte. Seit der postglazialen Flutung sorgten Nehrungsbildungen aus
dem Kliffabtrag von Norden, mehr noch aus dem Süden (vom Schönhagener Kliff her) für eine
Abriegelung zur offenen See. Das Gebiet der Schleimünde ist durch den ständigen Wechsel
von Anlandung und Abtrag (bei Sturmfluten), von Dünenneu- und -rückbildung, wo es
zugelassen wird, fortwährend in Veränderung begriffen. Aus dem Mittelalter ist beispielsweise
bekannt, dass die Mündung der Schlei weiter nördlich lag.
Nach diesen kurzen Anmerkungen zu den Hinterlassenschaften der Eiszeit in Form von
Geländeformen ein kurzer Blick auf die andere Art Hinterlassenschaft: das Bodenmaterial.
Auch ohne vorhandene Erzgruben und Kohlevorkommen hält die glaziale Landschaft
bedeutende Bodenschätze für die menschliche Nutzung bereit:
Erwähnt wurden bereits der Wert des Kalkreichen Geschiebemergels im Ackerbau und der
Nutzen des Tones für den Ziegelbrand.
Das älteste Gebrauchsgut aus unserer Landschaft ist der Stein selbst – als Werkzeug, Waffe,
als Baustein für Gebäude, Wege, Dämme und Brücken. Auch zur Setzung von dauerhaften
Zeichen – als Grenzstein, Gedenkstein, Wegepflichtsstein.
Nicht nur der feine Ton, auch der einfache Lehm wurde für Ziegelbrand verwendet, nachdem
er durch Schlämmen entsprechend aufbereitet wurde. Ton diente zudem für die Herstellung
von Tonwaren. Das vor allem in Feuchtgebieten der Geest aus eisenhaltigem Grundwasser
gebildete Raseneisenerz (Sumpferz) bot für die Menschen der Eisenzeit einen unverzichtbaren
Rohstoff. Sand und Kies waren den Menschen früher ein nutzloser Störfaktor, seit Beginn des
überregionalen Verkehrs (Eisenbahn, Autostraßen) und durch die Erfindung des Betons sind
beide wertvolle Rohstoffe geworden.
Ein mittelbar der Eiszeit zu verdankender Rohstoff ist der Torf. Er bildete sich aus vielen der
früheren Nassgebiete glazialen Ursprungs durch Verlandung und Vermoorung. Er war eine
wertvolle Ergänzung zum Holz für Hausbrand und Gewerbe (Ziegeleien, Räuchereien,
Branntweinbrennereien).

 

Literatur:

Geologische Übersichtskarte 1:250.000 von Schleswig-Holstein, Landesamt für
Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Flintbek 2012
(mit Begleittext)
Gripp, Karl: Die Entstehung der Landschaft um Haithabu, Offa 1940
Gripp, Karl: Die Entstehung der Landschaft Ost-Schleswigs vom Dänischen Wohld bis Alsen,
Meyniana 2, 1954, S. 81 – 123
Gripp, Karl: Die Entstehung der Landschaft des Kreises Eckernförde, JbHE 1954
Gripp, Karl: Erdgeschichte von Schleswig-Holstein. Karl Wachholtz Verlag 1964
Heck, Herbert: Die geologische Entwicklungsgeschichte des Schlei-Gebietes in: Die Heimat
1937 (teilweise etwas überholt)
Kupetz, A., Kupetz, M. & Rascher, J. (2004): Der Muskauer Faltenbogen – ein geologisches
Phänomen, Grundlage einer 130jährigen standortgebundenen Wirtschaftsentwicklung und
Geopark in Brandenburg, Sachsen und der Wojewodschaft Lubuser Land – (Hrsg.:)
Gesellschaft für Geowissenschaften e.V., Berlin, 36 S.
Landskapskort over Danmark, gezeichnet und herausgegeben durch Per Smed, Birkerød, DK
Müller, Martin: Die Geschichte der Birk. Kultur und Wandel einer Landschaft. Hrsg. Euro-
Verlag, Nieby 2007
Schmidtke, Kurt-Dietmar: Auf den Spuren der Eiszeit. Die glaziale Landschaftsgeschichte
Schleswig-Holsteins. Husum Druck 1885
Stephan, H.-J. 2003: Zur Entstehung der eiszeitlichen Landschaft Schleswig-Hosteins, Schr.
Naturwiss. Ver. Schlesw.-Holst. Bd.6, S. 101-118, Kiel, Juni 2003
Zölitz, Reinhard: Landschaftsgeschichtliche Exkursionsziele in Schleswig-Holstein (Punkt 45),
Karl Wachholtz Verlag 1989
Ich danke den zitierten Bildautoren für die jeweilige Bildfreigabe im Rahmen dieser Arbeit.

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