Flora und Fauna in der inneren Schlei

Last Updated on 26. August 2020

Flora und Fauna in der inneren Schlei

 

Verfasser: Svend Duggen, Dr. rer. nat., Dipl. Geologe-Paläontologe, Geowissenschaftler,

Gymnasiallehrer für Chemie und Geographie an der A. P. Møller Skolen in Schleswig.

Wenn Sie diesen Artikel zitieren möchten, geben Sie bitte Folgendes an:

Duggen S (2018) Flora und Fauna in der inneren Schlei. Erstmals erschienen auf der Internetseite des Schleiinformations- und Erlebniszentrums, SIEZ. www.schleiinfozentrum.de im Januar 2018. Aktuelle Version vom 28. Jan. 2018.

 

Zusammenfassung

Die Schlei hat eine einzigartige Mischung von Flora und Fauna vorzuweisen. Marine Arten dringen aus der Ostsee schleieinwärts bis nach Schleswig vor und zugleich breiten sich Süßwasserorganismen je nach Brackwassertoleranz schleiauswärts aus. In einer etwa 20 km langen Übergangszone kommen marine Arten, reine Brackwasserarten und brackwassertolerante Süßwasserarten nebeneinander vor.

Ursprünglich wurde die Verbreitung der Pflanzen und Tiere in der inneren Schlei hauptsächlich durch den Salzgehalt bestimmt. Durch die zunehmende Nährstoffbelastung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden viele Arten verdrängt oder sind sogar aus der Schlei verschwunden. Seither sind neue Arten, sogenannte Neobiota, aus anderen Teilen der Erde hinzugekommen. Viele Arten, die vor hundert Jahren noch massenhaft in der inneren Schlei vorkamen, haben bis heute nicht wieder Fuß fassen können. Manche sind in den vergangenen zehn Jahren erfreulicherweise erneut in der inneren Schlei wieder aufgetaucht oder breiten sich relativ rasch wieder aus, aber eben nur manche Arten.

Dies zeugt zwar von einer Verbesserung des ökologischen Zustands der Schlei vor allem im vergangenen Jahrzehnt. Dennoch wird der ökologische Zustand der inneren Schlei weiterhin als schlecht eingestuft. Und es ist unwahrscheinlich, dass die derzeitige Verbesserung von allein weitergeht, ohne die Nährstoffbelastung der Schlei zu senken. Die Dokumentation der Ausbreitung und das erneute Auftreten verschwundener Arten ist allerdings ein Spiegel für den sich verändernden ökologischen Zustand, ebenso wie das Verschwinden. Der Weg zu einem guten Zustand ist noch sehr weit, würde aber in der inneren Schlei mit einer Erhöhung der Artenvielfalt einhergehen, die aufmerksame Naturbeobachter erleben können.

Dieser Artikel soll dazu beitragen, die Vielfalt der Flora und Fauna der inneren Schlei und Veränderungen zeitnah sichtbar zu machen. Das Brackwasser der inneren Schlei ist trüb und daher sind viele Pflanzen und Tiere oft nicht unmittelbar zu sehen. Flora und Fauna der inneren Schlei hinterlassen jedoch Spuren an den Ufersäumen und verschiedene Arten sind gerade bei Niedrigwasser bei Sturm leichter zu finden. Mitglieder des SIEZ führen Begehungen entlang des Schleiufers durch, bei Niedrigwasser auch seewärtig, und nutzen auch Boote für Untersuchungen. Funde werden fotografisch mit Angaben zu Ort und Zeit dokumentiert und Neufunde diesem Artikel hinzugefügt.

Hilfreich bei der Bestimmung der gefundenen Arten ist die Eingrenzung auf die in der Literatur von Biologen beschriebenen Pflanzen und Tiere. Diese Literatur in Form von wissenschaftlichen Artikeln, Berichten, Kartierungen, Diplom- und Doktorarbeiten reicht bis in die 1870er Jahre zurück. Die Werke enthalten oftmals veraltete lateinische Namen, welche mit Hilfe einer geeigneten Datenbasis (z.B. World Register of Marine Species, WoRMS) zunächst übersetzt werden müssen. Anhand der heute gültigen lateinischen Namen lassen sich dann auch die deutschsprachigen Bezeichnungen leichter finden, welche hier zugefügt sind, falls vorhanden, denn Namen in der eigenen Sprache sind leichter zu merken. Weiterhin gibt es regionale, z.T. plattdeutsche Namen von Pflanzen und Tieren, die von den Fischern genutzt werden. Diese sollen hier ebenfalls nach und nach zugefügt werden.

Der Schwerpunkt dieses Artikels ist zunächst die innere Schlei, hier verstanden als der Teil der Schlei von Schleswig bis zur Missunder Enge, d.h. die Große Breite, die Kleine Breite, die Schleswiger Bucht und das Selker und Haddebyer Noor. In den einzelnen Abschnitten werden kurze Zusammenfassungen zu den früher vorhandenen Arten gegeben. Dies spiegelt die Artenvielfalt in der inneren Schlei wieder bevor ihr Zustand in den 1970er Jahren extrem schlecht wurde und zeigt, welche Vielfalt mit zunehmender Verbesserung wieder erreicht werden könnte. Es wird dadurch deutlicher, welchen Mehrwert es für alle hätte, wenn der Zustand der Schlei sich weiter verbessern würde.

 

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1) Senden Sie ein Foto von einem neuen Fund oder ein besseres Foto als in diesem Artikel dargestellt. Geben Sie Fundort, Zeitpunkt und ihren Namen an. Mit der Zusendung erlauben Sie uns, das Foto in diesem Artikel unter Angabe Ihres Namens zu veröffentlichen.

2) Sie haben Expertise für eine Organismengruppe in diesem Artikel und stellen einen gefundenen Fehler richtig oder sind bei der Bestimmung von Spezies behilflich, sofern dies vom Foto her möglich ist.

Nach und nach kann am SIEZ ein Buch zur Vielfalt der Flora und Fauna der Schlei mit Text und Bildern entstehen, das für alle Anwohner und Besucher der Schlei zugänglich ist.

Kontakt: svend_duggen@skoleforeningen.de

 

Inhaltsverzeichnis

1. Flora der inneren Schlei (Unterwasservegetation)

2. Fauna der inneren Schlei

2.1. Weichtiere (Muscheln und Wasserschnecken)

2.2. Krebstiere (Seepocken, Schwebegarnelen, Muschelkrebse, Flohkrebse, Krabben, Flusskrebse)

2.3. Ringelwürmer

2.4. Quallen

2.5. Schwämme

2.6. Moostierchen

2.7. Insekten

Weitere historisch und heutzutage häufige Organismengruppen der inneren Schlei sollen nach und nach hinzugefügt werden (Plankton, Fischfauna, Vögel usw.).

 

1. Flora der inneren Schlei (Unterwasservegetation)

Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1930er Jahre hinein wurde die Randzone der Schlei durch „Pflanzenwälder“ besiedelt. Diese bestanden aus häufigen bis massenhaften Vorkommen von Kamm-Laichkraut (Potamogeton pectinatus), Durchwachsenes Laichkraut (Potamogeton perfoliatus) und Baltischer Armleuchteralge (Chara baltica). Die Wachstumsgrenze lag in der Kleinen und Großen Breite um 1885 offenbar bei etwa 2-2,5 m Tiefe. Örtlich massenhaft traten Ähriges Tausendblatt (Myriophyllum spicatum), Salzwasser-Hahnenfuss (Ranunculus peltatus sp. Baudottii), Sumpf-Teichfaden (Zannichellia palustris) und Gemeiner Darmtang (Ulva intestinalis) auf. Am Nordrand der Großen Breite kam zusätzlich Blasentang (Fucus vesiculosus) vor.

Diese einzigartige Mischung von brackwassertoleranten Süßwasserpflanzen, reinen Brackwasserpflanzen und brackwassertoleranten marinen Pflanzen ist um 1940 verloren gegangen und bis heute nicht wieder hergestellt. Als der ökologische Zustand der inneren Schlei extrem schlecht war (1970er, 1980er), waren alle Pflanzen weitestgehend verschwunden. Lediglich einzelne kleine Vorkommen von Kamm-Laichkraut waren übrig.

Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat sich der Zustand der Schlei sichtbar verbessert. Dies wird u.a. durch eine Ausbreitung des Kamm-Laichkrauts entlang der Uferzone der inneren Schlei deutlich. Das Kamm-Laichkraut steht typischerweise in einem Tiefenbereich von etwa 60 cm bis 150 cm Wassertiefe bezogen auf einen normalen Wasserstand. Im Sommer ist es entlang der Uferzone sogar bei Normalwasser an der Wasseroberfläche sichtbar. Auf hartem Substrat (z.B. Steinen) bis etwa 30 cm Wassertiefe kommt Gemeiner Darmtang, örtlich auch massenhaft, vor.

Das Raue Hornblatt, welches mit dem Ährigen Tausendblatt verwechselt werden kann, wurde 2017 wachsend im Schlick im salzärmeren Teil der Schleswiger Bucht entdeckt. Im Herbst 2017 wurde vor Fahrdorf nach einem Sturm sehr häufig angetriebene Stängel des Rauen Hornblatts gefunden. Diese sind wahrscheinlich eher aus Auen in die Schlei eingespült worden und daher weniger ein Hinweis für eine weitere Verbreitung in der Schleswiger Bucht. Ähnlich verhält es sich bei häufigen Funden der Kanadischen Wasserpest im Januar 2018 entlang der Ufersäume der östlichen Großen Breite. Die Bruchstücke sind sehr wahrscheinlich aus den einmündenden Wasserläufen, z.B. der Hüttener Au, wo die Pflanze häufig vorkommt, in die Große Breite eingespült worden. Bisher gibt es keinen Hinweis, dass die Kanadische Wasserpest sich im Brackwasser der inneren Schlei angesiedelt hat. Dies wäre aber bei einer Salzgehalttoleranz von 2,5 ‰, der Neigung zur vegetativen Vermehrung und geringen Anforderungen an Licht für Bereiche der Schleswiger Bucht und dem Selker und Haddebyer Noor denkbar.

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Bild 1.-1: Kamm-Laichkraut bei Niedrigwasser vor Weseby im Dezember 2015. Auf der sandig-schlickigen Fläche vor Weseby kommt das Kamm-Laichkraut heute wieder massenhaft vor. Es beruhigt die auflaufende Wellenbewegung und verlangsamt die Abtragung der dahinterliegenden sandigen Steilküste. Außerdem zu sehen sind Brackwasserseepocken und Wasserdeckelschnecken. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-2: Kamm-Laichkraut mit Überwuchs im Hafenbecken des Fahrdorfer Seglervereins im Sommer 2017. In wellengeschützten Lagen bildet sich auf dem Kamm-Laichkraut ein Überwuchs (z.B. aus Algen, Pilzen, abgesetzten Schwebepartikeln). In diesen Lagen muss das Laichkraut schneller wachsen als sich der Überwuchs bilden kann, um stets genug Licht zu erhalten. Die Spitzen des Kamm-Laichkrauts erreichen die lichte Wasseroberfläche. In wellenbewegten Bereichen der Schlei kann sich der Überwuchs nicht oder kaum bilden. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-3: Kamm-Laichkraut entlang der Promenade in Schleswig. Die Oberfläche der Kamm-Laichkraut-Felder ist gut durch die Bereiche mit beruhigter Wasseroberfläche etwa 10-15 m vor dem Ufer zu erkennen. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-4: Gemeiner Darmtang auf Steinen entlang der Uferzone zwischen Marienbad und Haddeby im Sommer 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-5: Nahaufnahme vom Gemeinen Darmtang aufwachsend auf Hartsubstrat (Steinen) entlang der Uferzone zwischen Marienbad und Haddeby im Sommer 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-6: Raues Hornblatt im August 2017 in der Schleswiger Bucht zwischen Marienbad und Haddeby. Es wurde 2017 wachsend im Schlick bei etwa 20-30 cm Wassertiefe (bezogen auf Normalwasserstand) in der Schleswiger Bucht vorgefunden. Es kommt in der etwas wellenberuhigten Flachwasserzone zwischen dem Ufer und einem lichten Kamm-Laichkrautfeld (ab etwa 70 cm Wassertiefe) vor. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-7: Bruchstück des etwas wellenempfindlichen Rauen Hornblatts im August 2017 in der Schleswiger Bucht zwischen Marienbad und Haddeby. Das Stück lag treibend im Wasser einige Meter von der im Schlick wachsenden Pflanze entfernt. Foto: S. Duggen.

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Bild 1.-8: Angespülte Stücke von Kanadischer Wasserpest (Elodea canadensis) im zwischen Büscheln von angespültem Kamm-Laichkraut am Ufersaum bei Burg Strand im östlichen Bereich der Großen Breite im Januar 2018. Photo: S. Duggen.

 

2. Fauna der inneren Schlei

2.1. Weichtiere (Muschelfauna und Wasserschnecken)

Muschelfauna

Wie bei den Unterwasserpflanzen war die innere Schlei früher bei der Muschelfauna durch ein gleichzeitiges Nebeneinander von marinen Arten und Süßwasserarten gekennzeichnet. Dieses Zustandsmerkmal ging verzögert, etwa 20-30 Jahre nach dem Zusammenbrechen der weit verbreiteten Unterwasservegetation, verloren.

Die Sandklaffmuschel (Mya arenaria) wurde wahrscheinlich um 1.000 n. Chr. durch die Wikinger aus Nordamerika nach Europa und damit in die Schlei eingeschleppt.

In den 1930er Jahren gab es bereits Hinweise für einen Rückzug der marinen Arten aus der inneren Schlei. Bis in die 1960er Jahre kamen bis Schleswig noch marine Muscheln wie die zu den Herzmuscheln gehörende Lagunen-Herzmuschel (Cerastoderma glaucum), die zu den Tellmuscheln gehörende Baltische Plattmuschel (Limecola (Macoma) baltica) und die zu den Klaffmuscheln gehörende Sandklaffmuschel (Mya arenaria) vor. Die Lagunen-Herzmuschel machte in Schlickproben etwa die Hälfte der Muschelfauna aus. In der Kleinen Breite kam sie sogar massenhaft mit etwa 400 Stück/m2 vor. Die marinen Muscheln in der inneren Schlei waren kleiner als die Exemplare in der Ost- und Nordsee, was auf den ökologischen Stress, insbesondere durch den niedrigen Salzgehalt des Brackwassers, zurück zu führen ist. In den 1970er Jahren wurden Herzmuscheln nur noch auf besser durchlüfteten Bereichen der Großen Breite in geringer Bestandsdichte gefunden. Zu Anfang der 1980er Jahre wurden bei Untersuchungen durch Kieler Forscher im inneren Teil der Schlei keine marinen Muscheln mehr gefunden.

In den letzten zehn Jahren ist die Verbreitungsgrenze der Lagunen-Herzmuschel und Sandklaffmuschel wieder bis nach Schleswig vorgerückt. Sie sind 2017 lebend in der Uferzone vor Fahrdorf gefunden worden. Die Muscheln besiedeln in der inneren Schlei vorzugsweise die sandig-schlickige Uferzone bis etwa 1 m Wassertiefe. Die bis 1 cm kleinen Lagunen-Herzmuscheln liegen recht flach im Schlick und können das Sediment verlassen, einige Dezimeter wandern und sich wieder eingraben. Daher sind sie bei Niedrigwasser recht leicht zu entdecken. Die etwas größeren Sandklaffmuscheln verbleiben, nachdem die Larve sich am Boden festgesetzt hat, den Rest ihres Lebens im Schlick, in der Schlei typischerweise in etwa 10-20 cm Tiefe eingegraben. Gelegentlich werden auch sie freigespült, insbesondere wenn Seevögel sie durch waten freigelegt haben. Watstellen von Seevögeln sind bei Niedrigwasser häufig im Schlick der Uferzone zu sehen. Neben Lebendfunden weisen auch häufige Vorkommen von frischen Schalenresten, insbesondere solche wo die beiden Klappen mit organischem Ligamentband noch zusammenhängen, am Ufer auf die Verbreitung hin. Obwohl Herzmuschel und Sandklaffmuschel wieder bis Schleswig vorkommen, sind die früheren Bestandsdichten bei weitem noch nicht wieder erreicht worden.

Die Baltische Plattmuschel lebt nur wenige Zentimeter tief im Schlick. Diese ist bisher nicht wieder lebendig in der inneren Schlei vorgefunden worden, aber Funde frischer Schalen (auch zweiklappig mit Ligamentband) weisen deutlich darauf hin, dass die Baltische Plattmuschel wieder lebend zumindest im östlichen Teil der Großen Breite vorkommt.

Bis in die 1930er Jahre kam außerdem im innersten Teil der Schlei (Nordseite der Kleinen Breite, an der Möweninsel und im Selker und Haddebyer Noor sogar mit Massenentwicklung) die zu den Dreikantmuscheln gehörende Wandermuschel (Zebramuschel) (Dreissena polymorpha) als brackwassertolerante Süßwassermuschel vor. Sie ist wahrscheinlich Mitte des 19 Jahrhunderts in die Schlei, wie anderenorts in der Ostsee, eingeschleppt worden. Zuletzt wurde die Wandermuschel von den Holmer Fischern in den 1950er Jahren im Selker und Haddebyer Noor vorgefunden und ist bisher nicht wieder in der inneren Schlei aufgetaucht.

Gelegentlich können im Ufersaum der inneren Schlei in unmittelbarer Nähe der Mündungsbereiche großer Auen (z.B. Hüttener Au in der Großen Breite) häufig Schalen der Gemeinen Kugelmuschel (Sphaerium corneum) gefunden werden. Obwohl diese Süßwassermuschel brackwassertolerant ist, weisen Funde zusammen mit Resten von typischen Süßwasserorganismen darauf hin, dass die Schalen dieser Muscheln mit dem Wasser der nahegelegenen Au eingebracht und anschließend an das Ufer gespült wird.

Muscheln sind effektive Filtrierer und ernähren sich von organischen Partikel und einzelligen Algen im Wasser. Die Filtrierleistung einer weit verbreiteten Muschelfauna mit hoher Siedlungsdichte wäre enorm und würden Teil eines guten ökologischen Zustands der inneren Schlei sein.

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Bild 2.1.-1: Lebendige erwachsene, ca. 1,5 cm lange Lagunen-Herzmuschel auf sandigem Schlick vor Weseby bei Niedrigwasser im Dezember 2015. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-2: Lebendige erwachsene, ca. 1,5 cm lange Lagunen-Herzmuscheln angespült am Ufersaum am Fleckebyer Strand unmittelbar östlich der Mündung der Hüttener Au im Januar 2018. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-3: Lebendige erwachsene, ca. 1 cm lange Lagunen-Herzmuschel bei Niedrigwasser auf sandigem Schlick am Bäckerstrand von Fahrdorf im September 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-4: Lebendige erwachsene, ca. 1 cm lange Lagunen-Herzmuschel (zusammen mit Wasserschnecken) bei Niedrigwasser auf sandigem Schlick im Hafenbecken des Fahrdorfer Seglervereins im September 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-5: Lebendige erwachsene, ca. 3 cm lange Sandklaffmuschel auf sandigem Schlick vor Weseby bei Niedrigwasser im Dezember 2015. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-6: Angespülte, knap 4 cm lange zweiklappige Schalen, von kurz zuvor verstorbenen Sandklaffmuscheln im Ufersaum von Burg Strand in der Großen Breite im Januar 2018. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-7: Lebendige erwachsene, ca. 2,5 cm lange Sandklaffmuschel bei Niedrigwasser auf sandigem Schlick am Bäckerstrand von Fahrdorf im September 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-8: Schale der knap 1 cm langen und hellbraunen Gemeinen Kugelmuschel (oben links im Bild) angespült am Ufersaum am Fleckebyer Strand unmittelbar östlich der Mündung der Hüttener Au im Januar 2018. Im Ufersaum wurden zusammen mit den Schalen der Süßwassermuschel häufig Reste anderer typischer Süßwasserorganismen gefunden (z.B. Kanadische Wasserpest, Wasserlungenschnecken). Dies weist darauf hin, dass die Gemeine Kugelmuschel im unteren Verlauf der Hüttener Au häufig vorkommt und lose Schalen gestorbener Tiere gelegentlich in die Große Breite eingespült werden. Foto: S. Duggen.

 

Wasserschnecken

Anfang des 20. Jahrhunderts kamen hinsichtlich der Schnecken zahlreiche Arten von Meeres-, Brackwasser- und Süßwasserschnecken vor, des weiteren Lungenschnecken. In der inneren Schlei dominierte in den 1930er Jahren drei zu den Wasserdeckelschnecken und Vorderkiemern gehörende Arten: Die in Brack- und Meerwasser vorkommende Gemeine Wattschnecke (Peringia ulvae, früher auch Hydrobia ulvae) und die Bauchige Wattschnecke (Eicrobia ventrosa, früher auch Hydrobia ventrosa) sowie die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke (Potamopyrgus antipadorum, früher auch Potamopyrgus jenkinsi) als brackwassertolerante Süßwasserschnecke.

Die Gemeine Wattschnecke toleriert niedrige Salzgehalte bis etwa 1-3,3 ‰ herunter, während die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke bis 5 ‰ herauf gute Wachstumsraten vorfindet, aber eine Fortpflanzung bis 15 ‰ möglich ist. Die Arten können in der inneren Schlei also nebeneinander vorkommen. Eine Unterscheidung ist wegen der fehlenden artspezifischen Merkmale und der sehr variablen Ausformung der Gehäuse der einzelnen Arten sehr schwierig. Die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke stammt, wie der Name besagt, aus Neuseeland und wurde im 19. Jahrhundert mit Schiffen zunächst über Großbritannien nach Europa verschleppt. Seit etwa 1887 hat sie sich rasant in Kontinentaleuropa ausgebreitet und ist wenigstens seit den 1930er Jahren in der inneren Schlei zu finden. In den 1930ern wurde außerdem am Kamm-Laichkraut in der Großen Breite die zu den Hinterkiemern der Meeresschnecken gehörende bis 1 cm lange Schwarzmelierte Schlundsackschnecke (Calliopaea bellula, früher Embletonia (Stiliger) mariae) beschrieben.

Unter den Süßwasserschnecken kamen in der inneren Schlei die zu den Vorderkiemern gehörende Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis) weit verbreitet vor und in ausgesüßteren Bereichen der Noore, der Schleswiger Bucht und der Kleinen die Bauchige Schnauzenschnecke (Bithynia leachii), die Gemeine Federkiemenschnecke (Valvata piscinalis) neben der Federkiemenschnecke Valvata cristata, und die heute vom Aussterben bedrohte Valvata studeri (früher Valvata pulchella). Unter den Lungenschnecken kam am häufigsten die Gemeine Schlammschnecke (Radix balthica oder Radix ovata) und seltener, aber etwas häufiger im Haddebyer Noor, die Spitzschlammschnecke (Lymnea stagnalis) vor.

Heute sind insbesondere bei Niedrigwasser auf sandig-schlickigen Flächen und auf Steinen der Uferzone die Wattschnecken und die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke zu finden, im innersten Teil der Schlei gelegentlich auch Wasserlungenschnecken.

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Bild 2.1. -7: Wasserdeckelschnecken bei Niedrigwasser auf sandigem Schlick am Bäckerstrand von Fahrdorf im September 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-8: Wasserdeckelschnecken bei Niedrigwasser auf sandigem Schlick (zusammen mit Röhrenkrebsen) in der Uferzone zwischen Marienbad und Haddey in der Schleswiger Bucht im August 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-9: Massenhaftes Vorkommen von Wasserdeckelschnecken bei Niedrigwasser auf sandigem Schlick (zusammen Kamm-Laichkraut) auf der sandig-schlickigen Fläche vor Weseby in der Großen Breite. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.1.-10: Wasserlungenschnecke auf schlammigen Grund bei Niedrigwasser vor der Mündung eines Baches zwischen Marienbad und Haddeby im Sommer 2017. Es handelt sich wahrscheinlich um die Spitzschlammschnecke Lymnea stagnalis Foto: S. Duggen.

 

2.2. Krebstiere

In der inneren Schlei kommen auch heute unterschiedliche Krebstiere vor: Zu den Rankenfußkrebsen gehörende Brackwasser-Seepocke (Balanus improvisus), Schwebegarnelen (Glasgarnelen) wie Neomysis integer, Muschelkrebse (Ostrakoden), verschiedene Flohkrebse wie Schlickkrebse und Röhrenkrebse, die zu den Krabben gehörende Zuiderzeekrabbe (Rithropanopeus harrisii), der zu den Großkrebsen und Flusskrebsen gehörende europäische Edelkrebs (Astacus astacus). Einige Krebstiere sind Neobiota, d.h. sie waren ursprünglich nicht in der Schlei beheimatet und ihre Ausbreitung wurde durch den Menschen beeinflusst (z.B. die Zuiderzeekrabbe, Süßwasser-Röhrenkrebs, Europäischer Edelkrebs).

Seepocken

Die Brackwasser-Seepocke kam früher und kommt auch heute massenhaft in der inneren Schlei auf Hartsubstrat vor. Sie heften an Steinen, Holz, Pfählen, Rohrleitungen, Kamm-Laichkraut und Booten. Sie ist im Laufe des 19. Jahrhunderts, wahrscheinlich aus Nordamerika mit Schiffen, in Europa eingewandert. Für das Jahr 1930 wird von einem unangenehm starken Befall der Brackwasser-Seepocke bei Schleswig berichtet.

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Bild 2.2.-1: Brackwasser-Seepocke ohne Überwuchs auf einem Stück Holz bei Niedrigwasser vor Weseby in der Großen Breite im Dezember 2015. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.2.-2: Brackwasser-Seepocke mit braunem Überwuchs auf Steinen bei Niedrigwasser vor Fahrdorf in der Kleinen Breite im September 2017. Foto: S. Duggen.

 

Schwebegarnelen

Es gibt verschiedene Schwebegarnelen in der Schlei. Ungemein häufig in der inneren Schlei war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Neomysis integer (Neomysis vulgaris), welche entlang der Uferzone über Sandflächen vorkommt. Dort ziehen sie in Schwärmen umher. Sie tritt in solchen Massen auf, dass sie als Fischnährtier von Bedeutung ist.

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Bild 2.2.-3: Schwarm mit Schwebegarnelen (Glasgarnelen), wahrscheinlich Neomysis integer, vor Fahrdorf in der Kleinen Breite im September 2017. Foto: S. Duggen.

 

Muschelkrebse

Muschelkrebse (Ostrakoden) kamen noch in den 1930er Jahren sowohl im Schlick der Vegetationszone bis etwa 2 m Tiefe als auch auf dem vegetationslosen Seeboden in 3-5 m Tiefe der inneren Schlei vor. Besonders häufig waren die an sehr variable Salzgehalte angepasste Cyprideis torosa (C. litoralis) und die Brackwasserarten Candona angulata und Cytheromorpha fuscata.

Die meist 0,5 bis 2 cm kleinen Tiere bewegen sich meist kriechend und durchwühlen den weichen Untergrund nach Nahrung, manche graben sich ein und leben als Filtrierer. In der Literatur wird von einem ungeheuren Individuenreichtum auch auf dem vegetationslosen Seeboden gesprochen. Reste dieser Muschelkrebsfauna sind in Sedimentkernen aus der Mitte der Kleinen Breite zu sehen: In der braunen Gyttja, der natürlichen Seebodenbildung am Grund der Schlei, kommen Reste der Muschelkrebse sehr häufig vor. Im darüber liegenden schwarzen Faulschlamm (Sapropel) fehlen diese.

Dieser Sachverhalt verdeutlicht, dass die weit verbreitete und massenhafte Muschelkrebsfauna der inneren Schlei mit dem Auftreten des Faulschlamms verloren gegangen ist. Es ist unwahrscheinlich, dass Muschelkrebse den Grund der Schlei wieder besiedeln können, solange der Faulschlamm mit dazu gehörigen sauerstoffarmen Bedingungen an der Oberfläche etwa 60-70 % des Grundes der Schlei bedeckt. Dies ist besonders erschwert, da die Lebensdauer von Muschelkrebsen nur einige Monate beträgt und in die wärmere Jahreszeit vom Frühjahr bis Herbst fällt, in der das Risiko für Sauerstoffschwund an der Faulschlammoberfläche besonders hoch ist. Muschelkrebse dürften aber im schlickigen Sediment der Vegetationszone entlang des Schleiufers auch heute vorzufinden sein.

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Bild 2.2.-4: Ausschnitt eines Sedimentkerns aus der Mitte der Kleinen Breite bei etwa 4 m Wassertiefe. Die braune Gyttja liegt etwa unter dem etwa 30-40 cm mächtigen schwarzen Faulschlamm und enthält weiße Schalenreste von überwiegend Muschelkrebsen zusammen mit Schalenresten von Wasserdeckelschnecken. Foto: M. Seifert.

 

Flohkrebse

Es gibt unterschiedliche am Boden lebende Flohkrebse in der inneren Schlei, darunter die Unterordnungen der Gammariden sowie Schlickkrebse und Röhrenkrebse. Unter den Gammariden kam früher den Bachflohkrebsen ähnlichen Gammarus zaddachi vor, desweiteren der Schlickkrebs Corophium volutator. Heute findet man in der inneren Schlei sehr häufig einen Flohkrebs mit sehr langen Antennen. Dabei handelt es sich seht wahrscheinlich der aus dem Schwarzem Meer-Gebiet über Flüsse und Kanäle Anfang des 20. Jahrhunderts nach Deutschland eingewanderte Süßwasser-Röhrenkrebs (Chelicorophium curvispinum). Dieser kann leicht mit Chelicorophium robustum, mit dem er oft gemeinsam vorkommt, verwechselt werden. Der Einfachheit halber wird dieser Flohkrebs hier vorerst nur als Süßwasser-Röhrenkrebs benannt.

Die Flohkrebse besiedeln die sandig-schlickigen Flächen der Flachwasserzonen und z.T. die tieferlegende Faulschlammoberfläche. Die Ausbreitung der Arten kann durch Salzgehalte begrenzt sein. Der aus dem Wattenmeer bekannte Schlickkrebs (Corophium volutator) ist an wechselnde Salzgehalte angepasst und kann daher in der Schlei weit verbreitet sein. Dagegen toleriert der Süßwasser-Röhrenkrebs (Chelicorophium curvispinum) nur Salzgehalte bis 6 ‰, er kann also in der Schleswiger Bucht und der Kleinen Breite vorkommen, dagegen in der Großen Breite eher nicht.

Auffällig ist, dass die Röhrenkrebse der Flachwasserzonen eine eher gräuliche Farbe haben, während auf der Faulschlammoberfläche gefundene Flohkrebse eine deutlich rötliche Färbung zeigen. Dies ist wahrscheinlich auf die unterschiedlichen Sauerstoffgehalte der Lebensräume zurück zu führen; ein höherer Gehalt des roten Blutfarbstoffes erlaubt Röhrenkrebsen auch eine Besiedlung der im Sommer sauerstoffarmen Faulschlammoberfläche. Bei anhaltendem extremen Sauerstoffschwund, wie er in der inneren Schlei an der Faulschlammoberfläche vorkommen kann, würden sie allerdings auch absterben.

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Bild 2.2.-5: Flohkrebse (Süßwasser-Röhrenkrebse) mit Wohnröhren im sandigen Schlick bei Niedrigwasser in der Uferzone zwischen Marienbad und Haddey in der Schleswiger Bucht im August 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.2.-6: Flohkrebs (Süßwasser-Röhrenkrebs) mit Häutungsresten im sandigen Schlick bei Niedrigwasser in der Uferzone am Bäckerstrand in Fahrdorf in der Kleinen Breite im September 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.2.-7: Flohkrebse (Süßwasser-Röhrenkrebse) in einer Probe von der Faulschlammoberfläche aus der Kleinen Breite im August 2017. Foto: S. Duggen.

 

Krabben

Die Zuiderzeekrabbe kommt häufig in der inneren Schlei vor. Die kleine, nur einige Zentimeter Breite Krabbe stammt von der Ostseeküste Nordamerikas und kam wahrscheinlich mit dem Ballastwasser von Schiffen nach Europa. Um 1870 wurde sie zunächst in der Zuiderzee in Holland entdeckt, 1936 im Nordostseekanal und in der Schlei zuerst 1948. Sie besiedelt vor allem die Uferzone mit Versteckmöglichkeiten. Im Sommer 1960 wurden in der Großen Breite etwa 200 Individuen/m2 mit überwiegend 5 mm kleinen Krabben vorgefunden. Ansonsten kam sie in wesentlich geringerer Anzahl vor, war aber in den Mägen von Fischen wie Flundern, Aalen und Plötzen zu finden. Heute ist sie in der inneren Schlei am einfachsten zwischen und unter Steinen entlang der Uferzone zu finden.

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Bild 2.2.-8: Zwei Zuiderzeekrabben zwischen Steinen am Ufer zwischen Marienbad und Haddeby in der Kleinen Breite im August 2017. Foto: S. Duggen.

 

Flusskrebse

Der Europäische Edelkrebs wird in der älteren Literatur nicht erwähnt. Er wurde allerdings vor einigen Jahren erstmals lebendig in der Kleinen Breite entdeckt. Den Fischern ist der Edelkrebs als gelegentlicher Beifang in der inneren Schlei bekannt. Ein Bestand ist aus dem Langsee-Füsinger Au-System bekannt, woher wahrscheinlich auch die Exemplare in der inneren Schlei stammen.

 

2.3. Ringelwürmer

Ringelwürmer (auch Gliederwürmer) werden in Vielborster (Polychaeta) und Gürtelwürmer (Clitellata) unterteilt, diese wiederum in Wenigborster (Oligochaeta) und Egel (Hirudinea). Hier werden zunächst die Vielborster der inneren Schlei dargestellt.

Vielborster

Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts wurden bereits die zu den Ringelwürmern gehörenden Vielborster beschrieben. In der inneren Schlei kam weit verbreitet der Bernstein-Ringelwurm (Alitta succinea, früher Nereis succinea) neben dem Seeringelwurm (Nereis diversicolor) vor. Der Seeringelwurm kann weiter ins Brackwasser vordringen als der Bernstein-Ringelwurm, was möglicherweise auf den höheren Salzanspruch der Larven des Bernstein-Ringelwurmes zurück zu führen ist. In Untersuchungen der 1960er Jahre überwiegte von Schleimünde bis Missunde der Bernstein-Ringelwurm, weiter schleieinwärts der Seeringelwurm.

Bis in die Kleine Breite war auch der aus der Ostsee bekannte Kalkbohrwurm (auch: Gewöhnlicher Polydorawurm) (Polydora ciliata) vorhanden, der in Kalksteinen typische kleine Bohrlöcher hinterlässt. Bis in die Große Breite kam auch noch der Brackwasserpolychaet Streblospio shrubsoli vor, dessen Häufigkeit im Bereich 5-10 ‰, also in der Großen Breite, stark abnahm. Dagegen trat schleieinwärts Alkmaria romijni verstärkt hervor und besiedelte bis Schleswig den schlickigen Grund, z.T. sogar den Faulschlamm. Gelegentlich wurden auch kleinere Vielborster wie Fabricia sabella und Manayunkia aestuarina gefunden.

Als aus Nordamerika in die Nord- und Ostsee eingeschleppter Vertreter dürfte auch der grün-rötliche Grüne Brackwasserwurm (Marenzelleria viridis), der erstmals 1989 in der Ostsee nachgewiesen wurde, heute in der inneren Schlei vorkommen. Untersuchungen im Darß-Zingster Bodden und der restlichen Ostsee zeigen, dass diese invasive Art in Brackwasser im Bereich 0,5 bis 10 % Salzgehalt besiedeln kann, allerdings mit deutlich geringeren Besiedlungsdichten unterhalb von 3-5 ‰, da die Larven für die vollständige Entwicklung mindestens 5 ‰ erfordern. Das bedeutet, dass der Grüne Brackwasserwurm die gesamte innere Schlei besiedeln könnte, jedoch in der Großen Breite deutlich häufiger vorkommen sollte als in der Kleinen Breite und der Schleswiger Bucht.

Der Bernstein-Ringelwurm, und der Seeringelwurm besiedeln bevorzugt den schlickigen Grund, der in der inneren Schlei bis etwa 1,5-2 m Tiefe vorkommt. Bei Niedrigwasser sind sie entlang der Uferzone im Schlick leicht zu finden sind. Auf der Faulschlammoberfläche ab etwa 1,5-2 m Tiefe sind die Ringelwürmer weniger häufig. Die Seeringerwürmer sind Allesfresser und sind eine wichtige Nahrung für Seevögel und Fische.

Allerdings sind diese Vielborster wegen der sich verändernden Färbung leicht zu verwechseln. Folgende Merkmale können bei der Unterscheidung behilflich sein: Der Bernstein-Ringelwurm ist an einem Ende braun und ansonsten rötlich-braun, manchmal mit etwas grünlichen Bereichen. Der Seeringelwurm, der in der inneren Schlei überwiegt, zeigt eine variable Färbung, woher auch die Bezeichnung diversicolor im Artennamen stammt. Normalerweise sind die Seeringelwürmer rötlich-braun und am Rücken ist ein zentrales Blutgefäß gut zu sehen und man kann das Pulsieren des Blutes beobachten. Zur Paarungszeit im Winter verfärben sich die Tiere: Die Männchen leuchtend grün, die Weibchen dunkler grün, wobei auf dem Rücken die vorherige orange-braune Färbung durchscheint. Das zentrale Blutgefäß ist dann weniger deutlich. Die Verfärbung hängt mit dem Abbau des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin zusammen, dessen Abbauprodukt Biliverdin ein grüner Farbstoff ist. Der Grüne Brackwasserwurm hat oft einen grünen Körper mit zentralem roten Streifen und/oder rötlichen Stummelfüssen und Borsten.

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Bild 2.3.-1: Seeringelwurm im Schlick vor Weseby in der Großen Breite bei Niedrigwasser im Dezember 2015. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.3.-2: Seeringelwurm zur Paarungszeit auf sandig-schlickigem Grund vor Weseby in der Großen Breite bei Niedrigwasser im Dezember 2015. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.3.-3: Seeringelwurm auf schlickigem Grund zwischen Marienbad und Haddeby in der Schleswiger Bucht bei Niedrigwasser im August 2017. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.3.-3: Seeingelwurm auf schlickigem Grund am Bäckerstrand in Fahrdorf in der Kleinen Breite bei Niedrigwasser im September 2017. Foto: S. Duggen.

 

2.4. Quallen

Die Medusen mancher mariner Quallen können in die innere Schlei vordringen. Dies sind heute die Ohrenqualle (Aurelia aurita), in der Schlei auch „Seeflaggen“ genannt, und Rippenquallen.

Es wird beschrieben, dass im Jahr 1888 die Ohrenqualle in solchen Massen in der Schlei vorkam, dass die Wadenfischerei behindert wurde. Noch in den 1930ern wird berichtet, dass die Ohrenquallen gelegentlich bis in die Große Breite gelangten. In den letzten Jahren dringen dezimetergroße Medusen der Ohrenqualle häufig bis nach Schleswig vor.

In den 1930ern wurden Rippenquallen in der Schlei noch nicht festgestellt, aber überlegt, dass die bis zu 3 cm hohe Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus) in den Frühjahrsmonaten in die Schlei vordringen sollte. Im Oktober 2006 wurde in der Ostsee erstmals die eingeschleppte Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi) entdeckt, die eine Länge von 10-11 cm erreicht. In den letzten Jahren wurden Rippenquallen wiederholt bis Schleswig, z.T. sogar im nördlichen Bereich des Haddebyer Noors entdeckt. Fischer berichten davon, dass Rippenquallen wiederholt im Spätsommer-Herbst in sehr großen Massen bis nach Schleswig vordringen, auf den Grund der Schlei sinken und dort absterben.

Fraglich ist, ob die Medusen sich in der Schlei entwickeln können oder lediglich durch wechselnde Wasserstände bei Starkwindereignissen eingespült werden. Da die Meerwalnuss sich von Zooplankton, Fischlarven und Fischeiern ernährt, ist es denkbar, dass sie bei massenhaftem Auftreten erhebliche Auswirkungen auf die Ökologie und ggf. sogar die Sichttiefe der inneren Schlei haben kann.

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Bild 2.4.-1: Meduse der Ohrenqualle auf Schlick bei Niedrigwasser zwischen Marienbad und Haddeby im August 2017. Durchmesser ca. 15 cm. Foto: S. Duggen.

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Bild 2.4.-2: Meerwalnuss bei Niedrigwasser am Fahrdorfer Seglerverein im August 2017. Länge ca. 8 cm. Foto: S. Duggen.

 

2.5. Schwämme

Die meisten Arten der zu den vielzelligen Tieren gehörenden Schwämme (Porifera) leben im Meer- und Brackwasser, nur wenige Arten in Süßwasser. Schwämme haben keine Organe und leben als Filtrierer festsitzend z.B. auf hartem Untergrund.

In den 1930er Jahren kamen in der inneren Schlei einige Schwämme vor. In großen Klumpen wurde der gelblich-grüne Geweihschwamm (Spongilla lacustris, früher Euspongilla lacustris) nahe der Möweninsel und im Haddebyer und Selker Noor vorgefunden, der aus dem Süßwasser ins Brackwasser vorgedrungen war. Dieser brackwassertolerante Süßwasserschwamm kann Salzgehalte von bis zu 6 ‰ tolerieren. Er ist heute noch nicht wieder gefunden worden.

 

2.6. Moostierchen

Von den Moostierchen (Bryozoa), vielzelligen im Wasser lebenden Tieren, wurde bereits in den 1930er Jahren berichtet. Besonders häufig kam in der inneren Schlei die Krusten Seerinde (Einhornia crustulenta bzw. Electra crustulenta, früher Membranipora crustulenta) vor. Sie umwuchsen krustenbildend die Oberflächen von verschiedenen Substraten wie Steinen, Muscheln, Schilf, Kamm-Laichkraut usw. Beim Absterben von Pflanzen blieb eine netzartige Bryozoenkruste stehen, die auch an den Stränden gefunden werden konnte. Lebende Moostierchen sind bisher nicht wieder in der inneren Schlei gefunden worden.

 

2.7. Insekten

Unter den Insekten, den Sechsfüssern (Hexapoda), sei vorerst wegen seiner weiten Verbreitung und Auffälligkeit die rote Larve der Zuckmücken Chironimus plumosus-Gruppe dargestellt. Bereits in den 1930er Jahren wurden vier große Entwicklungszentren unterschieden, wovon eines die obere Schlei bei Schleswig und ein anderes die Große Breite war. Das am dichtesten besiedelte Gebiet waren die Schlick- und Schlammregionen der oberen Schlei bei Schleswig, wo niedrigere Salzgehalte bessere Lebensbedingungen mit sich führen. Die ursprüngliche Einteilung in Entwicklungszentren in der Schlei scheint mit der beginnenden flächenhaften Faulschlammbildung einherzugehen, die offensichtlich zunächst vier Ablagerungszentren beinhaltete. In den 1960er Jahren wurde keine Entwicklungszentren mehr unterschieden, sondern von einer gleichmäßigen Verteilung gesprochen, was auf eine durchgehende Ablagerung von Faulschlamm am Grund der Schlei hinweist.

Die auffällig rote Färbung der Zuckmückenlarven stammt von einem hohen Gehalt des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, der den Larven die Sauerstoffaufnahme aus der Umgebung erleichtert und somit ein Überleben unter stark sauerstoffarmen Verhältnissen ermöglicht. Sie sind oft noch bei niedrigen Sauerstoffgehalten < 3 mg/L vorhanden, wenn andere Insekten bereits abgestorben sind, und können phasenweise auch völligen Sauerstoffschwund überleben. Bei lang anhaltenden völligen Sauerstoffschwund an der Faulschlammoberfläche würden auch sie eingehen.

Zuckmücken tauchen jedes Frühjahr als eher kurzzeitiges Spektakel millionenfach im Uferbereich der Schlei und ihrer Noore in großen Schwärmen auf. Es handelt sich dabei nicht um Stechmücken, denn Chironomus plumosus ernähren sich von Nektar und Honigtau. Sie sind Nahrungsgrundlage für ein reiches Vogelleben entlang der Schlei.

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Bild 2.7.-1: Zuckmückenlarve im Faulschlamm der Kleinen Breite im Sommer 2017. Foto: S. Duggen.

 

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www.unterwasser-welt-ostsee.de

www.weichtiere.at

www.weichtiere-sachsen.de

www.wikipedia.de (für viele der oben genannten Spezies)

www.zipcodezoo.com

 

 

 

 

 

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